Delegationsteilnehmer im E-Estonia Showroom Fotos: LRA Calw Foto: Schwarzwälder Bote

Delegation: Landrat reist mit Bürgermeistern und Kreisräten in estnische Hauptstadt Tallinn / Vorreiter beim E-Government

Deutschland hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Auch was die Verwaltung angeht. Das registrierte eine hochkarätig besetzte Delegation aus dem Kreis Calw, die sich ins estnische Tallinn aufgemacht hatte, ziemlich schnell.

Calw/Tallinn. Landrat Helmut Riegger ist bekanntlich ein Verfechter der Digitalisierung. Sei es, dass er mit der Einführung der E-Akte die Kreisverwaltung auf eine papierlose Behörde umstellen möchte oder er den Breitbandausbau als Voraussetzung für schnelles Internet forciert.

Da ist es naheliegend, dass er Anfang April mit einer Delegation aus Kreisräten, Bürgermeistern und Vertretern der Kreisverwaltung in die estnische Hauptstadt Tallinn gereist ist, um einen Blick in die digitale Zukunft zu werfen und Inspirationen zu sammeln. Denn Estland gilt in Europa als Vorreiter beim E-Government und liegt im Ranking der EU-Mitgliedsstaaten beim Ausbau der digitalen Verwaltung derzeit auf Platz 2.

Zu Beginn der Reise empfing der stellvertretende Botschafter Martin Langer die 21-köpfige Delegation in der deutschen Botschaft. Er gab einen Einblick in das aktuelle politische Geschehen Estlands nach den im März stattgefundenen Parlamentswahlen und berichtete, wie wichtig den Esten aufgrund ihrer wechselvollen Geschichte die Zugehörigkeit zur EU und zur NATO ist. Langer machte deutlich, dass Estland ein Eldorado für Startups, die Wirtschaft insgesamt sehr dienstleistungsorientiert aufgestellt sei und sehr viele staatliche und private Dienstleistungen mit dem Bürgerausweis in Anspruch genommen werden könnten.

Was sich dahinter genau verbirgt, wurde den Kreisräten, Bürgermeistern und Vertretern der Kreisverwaltung anschließend im so genannten "E-Estonia Showroom", – eine Art digitales Schaufenster für Delegationen aus aller Welt – erst so richtig deutlich.

Dort arbeitet der Deutsche Tobias Koch, der anhand seiner eigenen ID-Karte veranschaulichte, dass man diese im Jahr 2002 eingeführte Karte für alle Lebenslagen nutzen kann. Sie ist nicht nur Personalausweis, Führerschein und Gesundheitskarte in einem. Mit ihr kann beispielsweise die Krankenakte online eingesehen, online gewählt, ein Gewerbe angemeldet oder der Wohnsitz umgemeldet werden. Möglich ist dies, weil die Bürger mit dieser ID-Karte rechtsgültig unterschreiben oder sich ausweisen können.

Tobias Koch bezeichnete Estland als "die coolste digitale Gesellschaft". Er führt dies darauf zurück, dass Estland nach der Unabhängigkeit darauf gesetzt hat, eine Informationsgesellschaft zu werden. Deshalb ist dort der Zugang zum Internet als soziales Grundrecht verankert und kann dank der guten mobilen Breitbandverbindungen auch in Anspruch genommen werden. Damit die über 500 öffentlichen und noch mehr privaten Dienstleistungen den Bürgern zur Verfügung stehen, braucht es private Unternehmen, die diese Programme entwickeln. Mari Pultsin von der Firma Spin TEK stellte der Delegation in den Räumen von E-Estonia ein Programm für die Friedhofsverwaltung vor, das auch schon von deutschen Kommunen angefragt worden ist. Damit können online die Standorte von Gräbern auf Friedhöfen ausfindig gemacht und sogar Lebensläufe der Verstorbenen hinterlegt werden.

Auch beim Gespräch mit Jan Trei, dem stellvertretenden Präsidenten des estnischen Städte- und Gemeindebundes, wurde den Gästen aus dem Landkreis Calw klar, dass die Esten viel pragmatischer sind und den Online-Diensten vertrauen. Dies veranlasste Landrat Helmut Riegger zu der Feststellung, dass in Estland nicht die Problemstellung im Vordergrund stehe, sondern Lösungen gesucht und Herausforderungen schneller angegangen werden.

"Ich bin von der Vereinfachung der Bürgerservices begeistert", resümierte der Kreischef am Abend beim Empfang in der Residenz des Botschafters. "Deutschland hinkt bei der Digitalisierung um viele Jahre hinterher." Ob es am vergleichsweise einfachen Staats- und Verwaltungsaufbau Estlands liegt oder an der Startup-Politik des Landes, darüber konnten sich die Calwer während des Empfangs mit den geladenen Vertretern aus Politik und Wirtschaft austauschen.

Zu den weiteren Stationen der Fachstudienreise gehörten ein Besuch bei der Stadtverwaltung von Tallinn und ein Gespräch mit Sandra Särav, der Direktorin für globale Angelegenheiten im IT-Managementbüro der Regierung. Dort werden unter anderem Strategien für Cybersicherheit entwickelt.

"Die Reise war ein voller Erfolg und wichtiger Impuls für unsere Digitalisierungsstrategie", hob Landrat Riegger zum Abschluss hervor. Auch die mitgereisten Kommunalpolitiker waren von der zukunftsoffenen Stimmung der Esten sehr angetan.

Zurück im Landkreis Calw wurden die Teilnehmer der Reise mit der Wirklichkeit konfrontiert, denn: Der Deutschland-Index des Kompetenzzentrums für öffentliche IT hat festgestellt, dass bis dato nur 19 Prozent aller untersuchten öffentlichen Dienstleistungen komplett digital angeboten werden. Es gibt also noch viel zu tun.