Am Landgericht Tübingen wird gerade ein Missbrauchsfall gegen einen 43-jährigen Familienvater verhandelt. Foto: M. Bernklau

Missbrauch: Angeklagter aus dem Enztal lehnt Verständigungsvorschlag des Tübinger Landgerichts ab

Strafnachlass gegen Geständnis – das Angebot der Kammer hat der Angeklagte abgelehnt. Der 43-jährige Familienvater aus dem Enztal soll seine Nichte über Jahre mehrfach missbraucht haben.

Tübingen/Kreis Calw. Drei Fälle schweren Missbrauchs an dem heute 14-jährigen Mädchen seit dessen Kindergartenalter wirft Staatsanwältin Rotraud Hölscher dem gelernten Werkzeugmacher aus dem Nordschwarzwald vor. Weil "schwer" ein Eindringen mit dem Finger bedeutet, konnte die Strafkammer des Landgerichts Tübingen bei dem Angebot, wodurch dem Mädchen eine Aussage erspart werden könnte, nicht unter die Mindeststrafe und Bewährungsgrenze von zwei Jahren gehen. Das Angebot lehnte der Angeklagte ab.

Psychotherapeutin und Kripobeamtin untermauern Vorwürfe

Das Mädchen hatte seiner Mutter im November 2018 von Übergriffen des Onkels bei wechselseitigen Familienbesuchen zwischen Hohenlohe und Enztal berichtet. Genaueres erfuhren später die Psychotherapeutin, bei der das Kind unter anderem wegen Schulschwierigkeiten und depressiven Verstimmungen in Behandlung war, sowie eine Kripobeamtin und eine Ermittlungsrichterin, die auch am Mittwoch aussagten. Beide untermauerten aus den Schilderungen des Mädchens die Tatvorwürfe der Anklage.

Nach den Angaben der Mutter hatte sich die Tochter nach einem Spaziergang mit Freundinnen an sie gewandt und "in der Küche immer mehr erzählt", auf Nachfragen dann aber geschwiegen, "geweint und sich geschämt". Dann sei sie "mit dem Hund raus". Gemeinsam mit einer ins Bild gesetzten Nachbarin habe die Mutter die Kripo verständigt, die auch noch am selben Abend mit zwei Beamten kam. Diesen Männern gegenüber wollte die Tochter aber nichts sagen. Sofort danach, so die Mutter, habe sie auch ihre Schwester angerufen, die Frau des Angeklagten, und zunächst sie mit den Vorwürfen konfrontiert. Der Schwager selber habe anschließend am Telefon – in Gegenwart seiner Frau – gewisse Grenzüberschreitungen beim "Streicheln" und "Fehler" eingeräumt.

Die Mutter schilderte dem Gericht auch den Zustand ihrer älteren Tochter während dieser Zeit. Sie habe in der Realschule mit den Leistungen nachgelassen, Albträume gehabt, an Selbsttötung gedacht, häufig grundlos geweint, sich geritzt, sei hin und wieder auch betrunken gewesen. Einmal habe sie die Kinderärztin als Akutfall in die Psychiatrie überwiesen.

Was die Mutter zudem aussagte, war dem Gericht aus den Ermittlungen offenbar zuvor nicht bekannt gewesen. Etwa, dass die Tochter von den Eltern "ein Sexspielzeug geklaut und auch benutzt" habe, einen Dildo. Rund zwei Monate bevor sich das Mädchen seiner Mutter wegen des Onkels anvertraute, sei die damals knapp 13-Jährige daheim von ihrem 18-jährigen Freund vergewaltigt worden. Die Mutter, die ihre Tochter weinend aus dem Zimmer kommen sah, erstattete Anzeige. Der 18-Jährige wurde nach deren Aussage auch verurteilt, während seine Freundin ihm "zunächst verziehen" habe.

Wegen Besitzes von Kinderpornografie schon einmal "verurteilt"

Nach Angaben der Mutter sei auch der Angeklagte schon einmal "zu 4000 bis 6000 Euro verurteilt" worden – wegen Besitzes von Kinderpornografie auf seinem Laptop. Sein Schwiegervater habe das entdeckt und den Angeklagten damals angezeigt. Weil dem Gericht offenbar keine Vorstrafen bekannt sind, kann es sich allenfalls um ein gegen Geldbuße eingestelltes Verfahren handeln.

Auf Nachfragen ihrer Nebenklage-Anwältin erläuterte die Mutter auch eine Liste der über die Jahre mutmaßlichen Übergriffe des Schwagers auf ihre Tochter: "Immer – bei jedem Besuch" sei das nach Angaben des Mädchens vorgefallen, dreimal mit Eindringen. Auch habe der 43-Jährige seiner Nichte mehrfach gedroht, es passiere "was Schlimmes", wenn sie jemandem davon erzähle.

Der Prozess wird am kommenden Montag fortgesetzt.