Die Aktivisten starten auf dem Calwer Marktplatz. Foto: Buck Foto: Schwarzwälder Bote

Protestbewegung: "Fridays for Future" marschieren vom Marktplatz zum Unteren Ledereck / Glocken läuten

Calw. Ein Autofahrer will am Freitagvormittag links in Richtung Hermann-Hesse-Gymnasium (HHG) abbiegen – und sieht sich der schweigenden Masse von "Friday for Future"-Demonstranten gegenüber, die keinen Millimeter von ihrer Position abrückt. Wutentbrannt und mit quietschenden Reifen wendet der Mann und braust wieder in Richtung Innenstadt.

Es war Sinnbild für das, was kommen könnte. Denn die "Friday for Future"-Bewegung zwingt nicht nur Gesellschaft und Politik zum umdenken, sondern wie an diesem Morgen auch Autofahrer zum Umdrehen. Mit bis zu 500 Demonstranten hatten die Organisatoren gerechnet. Am Ende schätzt man die Teilnehmerzahl dann doch auf 350. Die Polizei spricht von "höchstens 250". Doch um reine Zahlen geht es den Aktivisten in Calw freilich nicht – es geht um das Signal ans politische Berlin, das zum selben Zeitpunkt im Kanzleramt um das Klimapaket ringt.

Eine Menschenkette wird zum Auftakt auf dem Marktplatz gebildet, um eben jenes Zeichen zu setzen. Es sind viele Schüler vor Ort, aber auch Eltern und Ältere. Die Jüngeren sind jedenfalls mit Feuereifer dabei: "Einer muss ja anfangen, außer uns rettet ja sonst keiner die Welt", sagt ein junger Mann. 45 Schüler sind sogar aus Weil der Stadt nach Calw gereist, um an der Demonstration dabei zu sein – Lehrer inklusive. Bastian Dietrich, der von der Steinhöwel-Schule als Lehrkraft dabei ist, sagt: "Das war auch von den Schülern ein dringendes Bedürfnis. So erleben sie, wie politische Partizipation geht."

Bewusstsein schaffen

Ein älterer Mann ist auch dabei, hat laut eigener Aussage in den 1960er-Jahren ebenfalls mitdemonstriert und erklärt seine Motivation: "Ich bin aus Solidarität hier. Schon in den 1970er-Jahren gab es Berichte zum Ozonloch. Seitdem haben wir zu wenig getan", moniert der Mann. Man müsse ein stärkeres Bewusstsein in der Breite erreichen, meint er.

Dann setzt sich der Klimaschutz-Tross auch schon in Bewegung. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut", wird lauthals skandiert – fast schon ein Klimaschutz-Gassenhauer, der inzwischen bundesweit bekannt sein dürfte. Christina Keppler aus Schömberg begleitet die Bewegung nicht nur in Calw, sondern auch in Pforzheim und Stuttgart. Sie hat an diesem Vormittag kein Vertrauen in die Klimarunde in Berlin: "Man muss jetzt mal den Mut haben, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und Gesetze erlassen, die die Gesellschaft zum Umdenken zwingen", sagt sie. Oben am HHG angekommen, gehen die Sprechchöre weiter: "Hopp hopp hopp, Kohlestopp" oder auch "Es gibt kein Recht auf Kohlebaggerfahren". Was man denn denen sagt, die tatsächlich derlei Bagger fahren oder in Kohleabbaugebieten arbeiten? Da wird der junge Mann, der eben noch lauthals den Kohlestopp verlangte, plötzlich still. Eine Frau springt ihm bei und meint: "Dann müssen die sich halt andere Jobs suchen." Das sei dann eben so, andernfalls müssten die Betroffenen eben wegziehen, findet die Frau: "Aber man kann doch nicht wegen ein paar Kohlearbeitern ganze Regionen abbaggern." Bei den "paar" handelt es sich um rund 8000 Arbeiter, deren Existenz am Kohleabbau hängt. Doch das ist in Calw an diesem Freitag kein Thema.

"Elementare Aufgabe"

Weiter geht es wieder zurück Richtung Innenstadt. Um 11.55 Uhr läuten die Glocken der Kirche. Auch deren Vertreter sind dabei und unterstützten den Klimaprotest. Dekan Erich Hartmann mahnt zur Dringlichkeit: "Wir haben nur eine Chance, die Schöpfung zu schützen. Und das ist für uns als Kirche auch elementare Aufgabe. Man muss die Herausforderung ehrlich annehmen", fordert der Kirchenmann. Am Unteren Ledereck angekommen, ist sozusagen die Abschlusskundgebung eingeläutet. Mitorganisator Laurin Weiß schnappt sich das Mikrofon und fängt an: "Wir haben noch acht Jahre, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die Regierungen auf der ganzen Welt haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht", ruft er. "Dank unserer Bewegung ist der Klimawandel in der Gesellschaft angekommen, wir werden in die Geschichte eingehen", meint er. Auch die "Parents for Future" sind mit von der Partie, zitieren den Dalai Lama, der mal darauf hinwies, dass die Menschheit nur eine Erde hat, und befinden: "Bei uns steht die Wirtschaft über der Weisheit. Deshalb muss die Weisheit aus der Bevölkerung kommen."

Die Eilmeldung gegen 12.23 Uhr, dass sich die Bundesregierung in Berlin auf den Klimapakt verständigt hat, geht in den Wortbeiträgen unter – findet nicht einmal Beachtung. Zufrieden ist man stattdessen über die eigene Demo: "Wir sind froh, dass so viele gekommen sind. Es ist ja erst die zweite Demo, zu der wir offiziell eingeladen haben", meint Organisatorin Leah Strauss, die zugleich die Teilnehmer noch zur Klimawoche einlädt. Die Aktivisten meinen es also Ernst und mobilisieren die Massen auch in Calw weiter.