Christine Prayon ist in Calw aufgetreten. Foto: Weiser Foto: Schwarzwälder Bote

Kabarett: Die Kleine Bühne Calw präsentiert Christine Prayon vor vollem Haus / Ungewöhnliches Programm

Calw. Birte Schneider aus der "heute-show" des ZDF in der Calwer Jugendmusikschule – da durfte man gespannt sein. Ganz offenbar waren auch viele gespannt. Denn so üppig gefüllt waren die Reihen bei Veranstaltungen der Kleinen Bühne Calw bisher selten. Bereits kurz nach Beginn des Einlasses prangte der Vermerk "Ausverkauft" auf dem Plakat am Eingang.

"Die Diplomanimatöse" überrascht das Publikum

Birte Schneider kam allerdings gar nicht. Die eloquente Kollegin von Oliver Welke, die in dessen Sendung mit bösem Lächeln und kühlem Sarkasmus aktuelle Themen behandelt, hatte an diesem Abend frei. Christine Prayon, so ihr richtiger Name, kam mit ihrem Soloprogramm "Die Diplomanimatöse" und überraschte das Publikum mit einem schier unglaublichen Parforce-Ritt durch das zu anderer Gelegenheit immer wieder angestaubt wirkende Genre Kabarett – dabei alles vermeidend, was sich einer Kabarettistin tagtäglich fast zwingend anbietet. Kein Wort verlor sie über Trump, Merkel, AKK (Annegret Kramp-Karrenbauer) oder #metoo – und war auch deshalb spektakulär anders als viele Kollegen, die thematisch gerne die wohlige Allianz mit ihrem Publikum eingehen.

Ihre Bemerkungen über Calw zu Beginn bleiben überschaubar. Das KSK erscheint so nebulös, wie es wohl fast allen Calwern ist, und dass kein Schienenweg von der Landeshauptstadt hierher führt, ist kaum einen Lacher wert und mag sich ja bald ändern. Kurz streift sie Hermann Hesse, auch sein Werk nicht eben eine Steilvorlage fürs Kabarett. Und endlich ist die Bühne frei für einen Abend, bevölkert mit Personal aus dem skurrilen Kosmos Prayons: der verstörenden Scarlett Schlötzmann und ihrem Lebensweg, entnommen deren Tagebuch voll bestürzend trostloser und tragikomischer Einträge. Oder der heruntergekommenen Diva, die im Stil einer Dragqueen die Bühne betritt, sich singend entblättert und dabei Ernüchterndes und Überraschendes zutage fördert. Dem italienischen Möchtegern-Gigolo, der sich listig und mit geheuchelter Leidenschaft der Damenwelt anbiedert, prompt an die Falsche gerät und überstürzt den Rückzug antreten muss. Oder Carla Bruni-Macron, die sich deutsch-französisch säuselnd, hauchend und gurrend dem geneigten Betrachter darbietet, dabei aber der aufkeimenden Erotik einer frühen Brigitte Bardot rigoros den Garaus macht.

Prayon bestreitet diesen Abend mit Leidenschaft und der Lust zur großen Geste. Sie stapelt hoch, um kurz darauf mit diebischer Freude zu demontieren. Sie spart nicht, lässt keinen Abgrund aus und weiß kleine Obszönitäten zielsicher einzusetzen. Sie stöhnt rachitisch, sie schreit, sie flüstert, ja sie stirbt sogar auf der Bühne. Dabei bleibt sie immer die aufrechte Kabarettistin, die ihr Publikum anspruchsvoll und mit Hintersinn unterhalten möchte und ihm unterdessen listig den Spiegel vorhält. Trotz ihres vordergründig unpolitischen Auftretens ist ihre politische und gesellschaftliche Botschaft unverkennbar. Das Publikum nimmt den Ball gern auf, geht mit und dankt ihr mit vielen Lachern und lange anhaltendem Applaus. Und das treffendste, wohlgemerkt anerkennend gemeinte Urteil einer Zuschauerin nach dem Vorhang lautet: "Ein richtig abgründiger Abend."