Illegale Leiharbeit: Enthüllungen am dritten Prozesstag / Richter verliest Vernehmungen

Dass die Zeugen – und wie sich im Laufe des dritten Prozesstages herausstellte, die vermeintlichen Mittäter – aus der Slowakei nicht beizubringen waren, hat dem wegen illegaler Leiharbeit angeklagten 63-jährigen Burladinger nicht geholfen.

Burladingen/Hechingen. Die Beamten des Hauptzollamts, die vom Schöffengericht als Zeugen vernommen wurden, waren auch bei der Razzia im Haus des Burladinger Angeklagten und seiner über 80-jährigen Mutter vor Ort. Es waren die Beamten, die daraufhin im Hauptzollamt Ulm die Folgeermittlungen führten und die beschlagnahmten Ordner und Rechnungen ausgewertet und den Schaden für die Rentenversicherung berechnet hatten. Und es waren auch die, die in einem Burladinger Ortsteil vom Wohnhaus der Angeklagten direkt ins Nachbarhaus gingen – weil dort die Leiharbeiter untergebracht waren.

Überaus pikantes Detail: Es handelte sich um eine Gemeindewohnung, eine jener Unterkünfte, die Stadtverwaltungen für Notfälle vorhalten sollten. Etwa, wenn einem ihrer Bürger das Haus niederbrannt ist und der dann schnell ein Dach über dem Kopf braucht. Oder wenn eine unter häuslicher Gewalt leidende Ehefrau erst einmal mit den Kindern woanders unterschlupfen muss.

Deutsche Gerichtsbarkeit hat keine Mittel, Zeugen aus der Slowakei vorführen zu lassen

In diesem Fall wurden die Räumlichkeiten der Stadt aber ganz anders genutzt. Der Zollbeamte berichtete von "vier Betten in einem Raum" und er erzählte anschaulich von den vielen Matratzen im scheunenähnlichen Lager, die offensichtlich zu gewissen Zeiten als zusätzliche Liegestätten in den dann wohl sehr beengten Wohnungen dienten.

"An solchen Fällen arbeiten viele Leute", erklärte einer der Ulmer Beamten auf Nachfrage des Verteidigers, wie personalintensiv Ermittlungen in Sachen Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz in der Regel sind und warum jeder der Zollbeamten immer jeweils nur über seinen Zuständigkeitsbereich aussagen konnte und selten wusste, wer oder wann und wie dann an "solchem Fall" weitergearbeitet wurde und was dabei heraus kommt.

Aber auch die Ulmer Beamten, die weiter arbeiteten hatte die Hechinger Staatsanwältin, nachdem Angeklagter und Verteidiger ihr Angebot einer Bewährungsstrafe ausgeschlagen hatten, dann eben laden lassen. Etwa den, der nach den Aufzeichnungen, die da aufgefunden wurden, in wochenlangen Berechnungen und mit komplizierten Statistiken den sozialversicherungsrechtlichen Schaden ausgewertet hatte. Da hätten zwar Rechnungen der einzelnen Slowaken vorgelegen, für eben jenen Zeitraum von Mitte Juni bis Ende Juli 2014, aber die hätten alle identisch ausgesehen, wie vorgefertigte Formulare.

Gehört wurde auch jener Ulmer Zollbeamte, der mit seiner Kollegin eine stichprobenartige Kontrolle bei einer Abbruchfima aus dem Hohenzollerischen durchgeführt und mehrere osteuropäische Mitarbeiter, festangestellte Polen und einen Slowaken vorgefunden hatte. Der Slowake übergab ihm sein Handy und ließ ihn mit seinem "Chef" sprechen – dem Angeklagten. "Ich habe den Herrn noch gekannt. Aus dem Verfahren von 2009. Da gab es schon mal was", berichtete der Zollbeamte.

Die Mär von den selbstständig arbeitenden Unternehmern aus dem benachbarten europäischen Lande, die eine eigene Firma haben und auf eigene Rechnung arbeiten und das auch dürfen, weil das die innereuropäischen "Fairnessregeln" das für legal erklären, platzte jäh, in jenem Moment, in dem der Vorsitz führende Richter seinen am zweiten Prozesstag schon in Aussicht gestellten Beschluss verkündete.

Weil die Zeugen aus der Slowakei nicht beizukriegen sind und die deutsche Gerichtsbarkeit keine "Mittel hat, sie vorführen zu lassen" verlas er die Protokolle jener Aussagen, die die so unerreichbaren Slowaken gemacht hatten, als sie in Ulm oder in eben jenem Burladinger Teilort unmittelbar nach der unangekündigten Kontrolle des Hauptzollamtes machten.

Steuernummer? Versicherung? Gewerbeschein? Fehlanzeige!

Und während routinierte Prozessbeobachter es gewöhnt sind, dass sich bei Zeugen, zumal wenn sie sich selber belasten könnten, nach so vielen Jahren erhebliche Erinnerungslücken einstellen, kamen die detaillierten Aussageprotokolle nahezu Geständnissen gleich.

Und das auch, dies muss man der Exekutive wirklich lassen, die Beamten aus Ulm, aber auch die Burladinger Polizeibeamten genau die richtigen Fragen stellten.

Ja, er habe die Firma in seinem Heimatland nur gegründet, weil der Angeklagte ihm gesagt habe, dass es nur so gehe. Nein, in der Slowakei gäbe es keine Arbeit und wenn, dann sei sie schlecht bezahlt. Werbung für die Firma, nein, das habe er nie gemacht, Kapital investiert auch nicht, nein, er müsse auch kein eigenes Werkzeug und keine eigenen Fahrzeuge einsetzen und nein, er habe sonst niemand in der Firma beschäftigt.

Steuernummer, Unfallversicherung bei der Berufsgenossenschaft, A1 Bescheinigung, gültiger Gewerbeschein – alles Fehlanzeige. Denn: In der Slowakei müsse ein frisch gegründetes Unternehmen erst mal keine Steuern zahlen.

Verrichtet habe er Dienste auf Anweisungen der polnischen Vorarbeiter mit denen er sich halbwegs habe verständigen können. Sauber machen, Müll wegräumen beim Abbruch mithelfen – sowas eben.

Die Protokolle, die der Richter da vorlas ähnelten sich wie ein Ei dem anderen. Die Slowaken schufteten für durchschnittlich sechs bis acht Euro die Stunde, die Miete für die Gemeindewohnung zog der Angeklagte ihnen noch ab, versicherte einer. Kein Mindestlohn, keine gesetzlich geregelten Pausen, kein bezahlter Urlaub und meist eine Fünf-Tage-Woche.

Willkommenskultur der schönen, neuen, innereuropäischen Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts.