Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Jährliche Exkursion des Geschichtsvereins steuert Straßburg an / Nichts Menschliches fremd

Wenn eine seriöse Abordnung des Herrenzimmerner Geschichts- und Kulturvereins auf einen Adligen mit zweifelhaftem Ruf trifft, dann hat Karl Kimmich, Kulturreferent des Vereins, garantiert seine Finger im Spiel.

Bösingen-Herrenzimmern. Die 2019er-Exkursion führt nach Straßburg. Vor knapp 500 Jahren, so heißt es in der Zimmerischen Chronik, sollte ein Sprössling des adligen Geschlechts derer von Zimmern, Gottfried Christoph (1524-1570), eine geistliche Ausbildung erhalten (und später Domherr in Straßburg werden). Da er und ein anderer Bruder in der geschichtlichen Quelle, von einem weiteren Bruder, Froben, geschrieben, als "minderfähige Knaben" tituliert wurden, wundert es nicht, dass Gottfried Christoph so allerhand Allotria während seiner Ausbildung in Frankreich getrieben hat.

Verknappt zusammengefasst: Er hat viel getrunken – und hatte sich dann nicht immer in der Gewalt. Und er trieb teils derben Schabernack. Karl Kimmich gibt einen Einblick in die zweifelhaften Sitten zu Beginn des 16. Jahrhunderts, so dass es dem heutigen Betrachter nicht wundert, dass der Boden damals reif war für Martin Luther und andere Reformatoren mit einer Konzentration auf das Wesentliche: die Bibel und das Wort.

Enthaltsamkeit und Fasten

Es schien so, dass vor etwa 500 Jahren Mitglieder des ersten Standes ein launiges Leben geführt haben. Sich nicht nur dem Trunke ergeben, sondern ebenfalls direkten Kontakt mit dem anderen Geschlecht nicht abgeneigt gewesen waren. So sei dem "minderfähigen Knaben" von älteren Geistlichen immer mal wieder Frauen an die Schlafstatt geführt worden zu sein, damit diese – so plaudert die Chronik – einen schönen Mann sehen sollten.

Auf der anderen Seite entschwebte damals die Kommunion während des Gottesdienstes immer mehr ins Göttliche. Die Anforderungen, an den Tisch des Herren gehen zu dürfen, stiegen. Von 30 Tagen Enthaltsamkeit ist die Rede, von einer halben Woche Fasten ebenso. Den Betrachter freut es umso mehr, sich mit einer Busladung voller Interessierter, quasi mit reinen Seelen, dieser Vergangenheit stellen zu dürfen. Auf der Hinfahrt ins Elsässische wird Halt in Freudenstadt und auf dem Marktplatz mit den Schlossbauplänen eines württembergischen Herzogs vertraut gemacht (die aus Geldmangel scheiterten). Ebenso wird die rechtwinklig über Eck gebaute Stadtkirche mit dem weltberühmten Lesepult (Weidenholz) bestaunt.

Bei der Weiterfahrt über Schwarzwaldhöhen passieren die Exkursionsteilnehmer vor Bad Griesbach den Gedenkstein an Matthias Erzberger. Der Politiker der Weimarer Republik wurde am 26. August 1921 von Attentätern aus dem rechten Milieu ermordet. Er hatte das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, das den Ersten Weltkrieg beendet hatte, und wurde ein Opfer rechter Hetzpropaganda (wie ein knappes Jahr später Walther Rathenau).

In Straßburg wird das Münster mit dem einst höchsten Kirchturm des Abendlandes (142 Meter) besucht. Ein Turmhelm wurde gebaut, der zweite dann nicht mehr. Vor dem Stadttheater spricht Karl Kimmich über Landolin Ohnmacht und beschreibt die sechs Musen des Bildhauers aus Dunningen, der 1834 in Straßburg starb.

Bibliothek aufgebaut

Der Reiseleiter erwähnt außerdem Karl August Barack. Geboren in Oberndorf am Neckar, erntete er nach dem 1870/71er-Krieg Ruhm in Straßburg, als er die durch Kriegshandlungen zerstörte Bibliothek aufbaute. Binnen weniger Monate spendeten andere Bibliotheken beinahe 200 000 Bände. Heute ist sie, so Kimmich, die zweitgrößte Frankreichs. Außerdem machte sich Barack um eine überarbeitete, heute noch maßgebliche Übersetzung der Zimmerischen Chronik verdient.

Bei so viel hoher Kultur reizt es den Reiseleiter vor der Bibliothek populären Goethe und Schiller zu zitieren. Ein Ausspruch, der zwar nicht in Straßburg, aber dafür in Weimar in Zusammenarbeit entstanden ist und als lose Klammer zu den Eskapaden des anfangs erwähnten "minderfähigen Knaben" gelten könnte. Schiller: "Er saß an ihres Bettes Rand. Und spielt mit ihren Flechten." Goethe: "Das tat er mit der linken Hand. Was tat er mit der rechten?"