Leo (von links), Elisa und Hanna hören ganz genau zu: Das Dinosaurier-Baby Charly in der Hand von Erzieherin Tamara Bach erklärt ihnen gerade, dass das Spielzeug im Kindergarten urlaubsreif ist. Foto: Niderberger Foto: Schwarzwälder Bote

Erziehung: Einrichtung Arche Noah mit Kreativ-Projekt / Becher und Klorollen statt Puzzle und Legosteine

Wenn der Gong ertönt, wird's wuselig. 40 Jungen und Mädchen rennen entweder in das gelbe oder das rote Zimmer, wo sie sich auf einen Teppich setzen.

Blumberg (hon). Doch kaum haben sie es sich gemütlich gemacht, erfahren sie von ihren Erzieherinnen im katholischen Kindergarten Arche Noah in Riedböhringen, dass der Morgenkreis ausfällt. "Heute ist Kinderkonferenz, kommt bitte alle in den Flur", ruft Annette Schellhammer, die Leiterin der Einrichtung – und schon folgen 40 kleine Menschen dieser Bitte. Sie wissen: Wenn eine Kinderkonferenz einberufen wird, gibt's wichtige Neuigkeiten für sie.

Und die Information, die Tamara Bach mit der Handpuppe Charly, einem soeben geschlüpften Dinosaurier-Baby, und Annette Schellhammer mit der Handpuppe Beppo, einem Clown, weiter gibt, hat es in sich: Puzzle und Legosteine, Bücher und Playmobil-Figuren, das Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel und die Bauklötze sind urlaubsreif und sollen in den Keller, um sich zu erholen.

Das schreit nach Protest. Doch der bleibt aus. Im Gegenteil: Als Beppo fragt, wer denn alles mithelfen will, die Spielsachen in den Keller zu tragen, schnellen 40 Kinderarme in die Höhe.

Drei Monate wird die Alternative im Betreuungsalltag erprobt

Den Vorschlag, im Kindergarten-Alltag für drei Monate auf Spielzeug zu verzichten, machte Tamare Bach.

Sie ist, wenn man so will, der Frischling in dem erfahrenen Erzieherinnen-Team, und hat das Projekt schon einmal in einem Löffinger Kindergarten kennengelernt. Bei ihren Kolleginnen ist sie damit auf offene Ohren gestoßen und Leiterin Annette Schellhammer hat sich auch schlaugemacht.

In der Schweiz sei der spielzeugfreie Kindergarten sogar wissenschaftlich begleitet worden. "Kreativität kommt zum Fließen", sagt sie.

Die Rolle der Erzieherinnen verändert sich. Spielzeugfrei heißt für sie aber nicht gleich arbeitsfrei, sie werden vom Animateur und Anbieter zum Begleiter und Beobachter in der Erziehungsarbeit.

Wenn zum Beispiel ein Kind mit einer Puppe spielen möchte, dann werde es dabei angeleitet, sich aus Stoff und Zeitungspapier selbst eine Puppe zu basteln, so Annette Schellhammer. Kurz gesagt: "Es geht zurück zu den Wurzeln." Wird den Kindern nicht schnell langweilig, so ganz ohne Anleitung? "Nein", sagt Annette Schellhammer.

Sie erinnert sich an die Waldtage. Da seien die Kinder auch ohne Spielzeug ausgekommen und haben mit Moos und Stecken gespielt oder Schnecken, Regenwürmer und Käfer beobachtet – und alle seien zufrieden nach Hause gegangen.

Was Aaron, Felix, Benno, Lena und den übrigen Arche-Noah-Kindern jetzt noch bleibt sind Tische, Stühle, Tücher, Kisten, Schachteln, Klorollen, Seile, Wäscheklammern und ihre große Fantasie. In den nächsten drei Monaten bestimmen sie, was gespielt wird und wer den Ton angibt. Bevor es nach der Kinderkonferenz in das rote beziehungsweise gelbe Zimmer zurückgeht, falten die Kinder die Hände. "Lieber Gott wir danken Dir", tönt es aus 40 Kinderkehlen.

Bei dem Projekt spielzeugfreier Kindergarten geht es darum, das Konsumverhalten bewusst zurückzustellen und dafür Kommunikation und Kreativität zu fördern. Die Idee ist es, die Schutzfaktoren von Kindern zu stärken. So sollen sie lernen, mit Langeweile umzugehen, also ihre Frustrationstoleranz zu erhöhen. Sie sind ohne Spielsachen auf sich selbst gestellt und müssten so in jeder Situation klarkommen. Zudem wird bei vielen Kindern das Selbstbewusstsein gestärkt. All diese Fähigkeiten, sogenannte Lebenskompetenzen, brauchen die Kinder unter anderem, um in der Schule und später in der Berufs- und Erwachsenenwelt bestehen zu können.