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Im Prozess gegen 21 mutmaßliche Gangmitglieder hat das Opfer der Prügelattacke ausgesagt.

Stuttgart - "Seht, was ihr angerichtet habt, ihr seid alle ohne Ehre. Schämt ihr euch nicht?", ruft ein Zuhörer auf Türkisch in den Gerichtssaal. Der Mann hat gerade die erschütternde Aussage des Zeugen gehört, der von den angeklagten Mitgliedern der Black Jackets fast zu Tode geprügelt worden sein soll.

Einer der 21 jungen Angeklagten vergräbt sein Gesicht in den Händen. Er weint. Einige seiner Mitangeklagten starren mit ausdruckslosen Gesichtern ins Leere, wieder andere machen auf cool. Im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts neben dem Gefängnis in Stammheim, wo der aufsehenerregende Prozess gegen die 21 Männer im Alter von 17 bis 24 Jahren wegen dreifachen versuchten Mordes seit Anfang März stattfindet, könnte man eine Stecknadel fallen hören.

Kurz zuvor war der 27-jährige Zeuge von seinem Anwalt Peter Mende und von Helmut Gagg, Mitarbeiter der Opferschutzorganisation Weißer Ring, in den Saal geführt worden. Der schlanke Mann mit der dunklen Brille schaut unsicher, fast ängstlich. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, wie es ihm gehe, sagt er: "Den Umständen entsprechend besser." Tatsächlich hat die Attacke, die den Angeklagten vorgeworfen wird, sein Leben zerstört.

"Das ist so, als ob Glas zerbricht"

Der 27-Jährige hatte sich am Abend des 26. Juni 2009 an der Waisenhofschule in Esslingen mit Freunden getroffen. Dort hielten sich auch andere junge Männer auf, mit denen der Zeuge nichts zu tun hatte. Plötzlich waren mehrere vermummte Gestalten auf die Gruppe zugestürmt und hatten wahllos auf die Opfer losgeprügelt - mit Fäusten, Baseballschlägern, Teleskopschlagstöcken, Holz- und Eisenstangen. Drei Männer wurden schwer verletzt, der 27-Jährige am massivsten.

Er kann nur eine halbe Stunde lang pro Sitzungstag vernommen werden. Mehr geht nicht. Am Donnerstag ist er das erste Mal im Zeugenstand. Elf Jahre habe er bei Bosch als Industriemechaniker gearbeitet, erzählt er. In seiner Freizeit trainierte er die A-Jugend eines Fußballclubs. Er spielte auch selbst. Das ist alles vorbei. Auch seine Zukunftspläne scheinen zerstört. Er hatte zum 30. Juni 2009 gekündigt, wollte dann seine Fachhochschulreife nachholen, um schließlich Umwelttechnik zu studieren.

Dann kam der 26. Juni, an dem ihm die Täter die Schädeldecke zertrümmerten, ihm die linke Augenhöhle und den Kiefer brachen. "Das ist so, als ob Glas zerbricht", sagt der Zeuge. Knochensplitter seien in sein Gehirn gedrungen. Er lag wochenlang im Koma, die Ärzte schlossen den Schädel mit einem Kunststoffimplantat. Seither leide er unter Konzentrationsschwäche, Gesichtsfeldeinschränkung und Vergesslichkeit. "Am schlimmsten sind aber die Panikattacken. Ich habe immer wieder fürchterliche Angst", berichtet der 27-Jährige. Er sei in steter Behandlung: Ergo- und Physiotherapie, Psychotherapie. "Ich versuche alles, damit ich die Schule und das Studium machen kann", sagt er. Dann ist die halbe Stunde vorbei, der tapfere Mann aus Ostfildern wird aus dem Saal begleitet. Nächsten Donnerstag soll er aussagen, was er noch von dem Überfall an der Waisenhofschule in Esslingen weiß.

Die 21 Angeklagten, die von 42 Verteidigern vertreten werden, schweigen zu den Vorwürfen. Die Staatanwaltschaft geht davon aus, dass es die Mitglieder der überregionalen und in verschiedene sogenannte Chapter unterteilte Jugendbande Black Jackets mit der fast tödlichen Prügelattacke auf Mitglieder der Esslinger Gruppe La Fraternidad (spanisch für die Brüderschaft) abgesehen hatten. Oberstaatsanwalt Gernot Blessing wirft den Angeklagten dreifachen versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und schweren Landfriedensbruch vor. Der Prozess ist bis 20. Dezember terminiert.