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Sein Leben ist nach brutalen Schlägen ruiniert, und er weiß bis heute nicht, warum ihm das angtan wurde.

Stuttgart - Sein Leben ist nach brutalen Schlägen ruiniert, und er weiß bis heute nicht, weshalb ihm das angetan wurde. "Ich möchte zu gern wissen, warum man mich gezielt angegriffen hat. Ich habe mit den Leuten nichts zu tun", sagt der 27-Jährige im Gerichtssaal. Keiner der Angeklagten gibt ihm die Antwort.

Die 2. Jugendstrafkammer des Landgerichts Stuttgart hat am Donnerstag den Prozess gegen 21 mutmaßliche Mitglieder Jugendbande Black Jackets (Schwarzjacken) fortgesetzt. Das Verfahren findet unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen im Saal des Oberlandesgerichts neben dem Gefängnis in Stammheim statt. Hier hat jetzt der am 26. Juni 2009 in Esslingen fast zu Tode geprügelte 27-Jährige zum zweiten Mal ausgesagt. Er kann wegen der Folgen seiner schweren Verletzungen nur eine halbe Stunde lang vernommen werden.

"Wir haben nicht gedacht, dass Sie es überleben"

Was ist geschehen an jenem Abend bei der Waisenhofschule in Esslingen, wo sich der 27-jährige Industriemechaniker wiederholt mit Freunden getroffen hat? Der Zeuge kann dem Gericht nicht weiterhelfen. "Ich erinnere mich an überhaupt nichts", sagt er. Er weiß nur noch, dass er eigentlich mit seinen Geschwistern im Fernsehen den Film "Herr der Ringe" ansehen wollte. Doch dann sei er von jemandem abgeholt worden. Wer das war, ist ihm bekannt. Aber nicht, weil er sich daran erinnern kann, sondern weil er es später erfahren hat.

Später ist nach mehreren Wochen, die der Fußballtrainer einer A-Jugendmannschaft im Koma gelegen ist. "Ich bin irgendwann im Krankenhaus aufgewacht. Meine Verwandschaft ist heulend ums Bett herumgestanden", berichtet er. Nur ein kurzer Erinnerungsfetzen, denn dann sei er wieder eingeschlafen. Albträume hätten ihn geplagt: Von der eigenen Beerdigung. Das nächste Bild im Kopf ist das einer Ärztin. Sie, erzählt er, habe gesagt: "Zum Glück sind sie jetzt wach. Wir haben nicht gedacht, dass Sie es überleben."

Die Angeklagen schweigen zu den Vorwürfen

Es fällt dem 27-Jährigen schwer, auszusagen. Vor einer Woche hat er sein Leben vor dem Schicksalstag geschildert. Elf Jahre hat er bei Bosch gearbeitet. dort zum 30. Juni 2009 gekündigt, weil er die Fachhochschulreife nachholten wollte, um danach Umwelttechnik zu studieren. Jetzt ist er Dauerpatient bei Ergo-, Physio- und Psychotherapeuten: Eingeschränktes Gesichtsfeld, Konzentrationsschwächen, Vergesslichkeit und Panikattacken. "Ich möchte zu gern wissen, warum man mich gezielt angegriffen hat. Habe ich etwas Falsches gesagt?" Und, so der Mann im Zeugenstand weiter: "Ich frage mich, ob es denen überhaupt leid tut, was sie durchgezogen haben."

Ganz zum Schluss bricht beim 27-Jährigen noch ein "das ist doch zum Kotzen heraus". Es ist der Moment, als ein Anwalt seinen Schützling ins rechte Licht rücken möchte, weil er das ihm von Kindheit her bekannte Opfer im Krankenhaus besucht hat: "Der hat immer nur telefoniert. Ich liege da und sterbe, und der berichtet Leuten von meinem Zustand, die ich gar nicht kenne."

Die Angeklagen schweigen zu den Vorwürfen

Als der 27-Jährige an jenem Abend im Hof der Esslinger Schule war, hielten sich dort auch andere junge Männer auf, mit denen er nichts zu tun hat. Plötzlich waren mehrere vermummte Gestalten auf die 12-köpfige Gruppe zugestürmt und hatten auf sie eingeprügelt - mit Fäusten, Baseballschlägern, Schlagstöcken, Holz- und Eisenstangen. Drei Männer wurden schwer verletzt, den 27-Jährigen hat es am schlimmsten erwischt: Schädeldecke zertrümmert, Augenhöhle und Kiefer gebrochen. Kochensplitter sind ins Gehirn eingedrungen.

Die 21 Angeklagten, es sind Deutsche, Kosovaren, Türken, Serben, Kroaten, Iraker und ein Afghane, hatten es laut Staatsanwaltschaft auf Mitglieder der Esslinger Jugendbande La Fraternidad (Bruderschaft), abgekürzt LF, abgesehen. Mit den LF-Leuten seien die Black Jackets - Erkennungszeichen ist die schwarze Jacke mit dem Kopf eines Pitbulls - schon länger im Streit gelegen. Auslöser der Attacke, die den zu keiner Gruppe gehörenden 27-Jährigen fast das Leben gekostet hat, soll der Bruder eines Angeklagten gewesen sein. Die Schwarzjacken, die ihr Clubheim in Fellbach haben, hätten ihn rächen wollen, weil er von einem LF-Mitglied geschlagen worden sei.

Oberstaatsanwalt Gernot Blessing wirft den 17 bis 24 Jahre alten Männern dreifachen versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und schweren Landfriedensbruch vor. Die Angeklagten, die von 42 Rechtsanwälten vertreten werden, schweigen bisher zu den Vorwürfen. Für den Prozess sind 69 Verhandlungstage angesetzt. Er soll am 20. Dezember beendet werden.