Melanie Müller (links) fühlt sich wohl bei ihrem Pferd. In Kiel darf sie nun an den Special Olympics teilnehmen. Fotos: Klebitz Foto: Schwarzwälder Bote

Pferdesport: Melanie und Thomas Müller nehmen an den Special Olympics in Kiel teil

Melanie und Thomas Müller kamen vor 17 Jahren als Frühgeborene zur Welt. Trotz ihrer geistigen und körperlichen Behinderung sind sie heute erfolgreiche Reitsportler. Jetzt nehmen die Beiden sogar an den Special Olympics in Kiel teil und werden von der Stiftung Hilfe für kranke Kinder gefördert.

Bisingen. Das Auto ist gepackt. Reitstiefel, Helme und ein Vesper sind im Familienvan verstaut. Melanie und Thomas setzen sich auf die Rückbank, vorne steigt nach ein paar Kilometern noch Reittrainerin Christa Hinrichsen ein. Mutter Monika Müller geht auf der Fahrt mit ihren Zwillingen noch einmal das Tagesprogramm durch.

Routine bei Müllers. Jeden Samstagmorgen starten sie von Bisingen aus in Richtung Kusterdingen auf den Immenhof. Seit sechs Jahren, fast ohne Pause. "Wenn wir Ferien haben, trainieren wir sogar dreimal in der Woche", sagt Thomas. Anstrengend findet er das überhaupt nicht. "Es ist toll."

Und das obwohl es schon in ein paar Tagen ernst wird. Dann starten die Zwillinge in Kiel bei den Special Olympics – der Nationalen Meisterschaft für Sportler mit geistiger Behinderung. "Wir müssen unsere Kür noch üben", erzählt Melanie. "Es klappt noch nicht alles so richtig."

Auch in diesem Jahr werden die Zwillinge bei den Special Olympics wieder in mehreren Wettbewerben antreten. Geschicklichkeit, Dressur und eine Unified-Kür. Eine Disziplin, die die Inklusion fördern soll. Die Athleten treten dabei mit einem nichtbehinderten Partner an. Das soll die Leistungsfähigkeit verbessern und gleichzeitig das Selbstbewusstsein der Sportler stärken. Etwas, das die Zwillinge dringend brauchen.

Beide mussten nach ihrer Geburt längere Zeit beatmet werden, hatten große Probleme im Kindergarten und Melanie auch in der Schule. "Sie wurde gemobbt", erzählt Monika Müller. Auf dem Schulhof in der Förderschule hätten Kinder sie gezwungen, Blätter zu essen. Melanie brauchte mehrere Jahre, um sich vom Mobbing zu erholen und sich wieder auf das Lernen einlassen zu können.

Für die Beiden war es oft nicht leicht

Auch für Thomas war es oft schwer. "Er war stark entwicklungsverzögert, entwickelte mehrfache Verkrampfungen am ganzen Körper." Jetzt macht Thomas seinen Hauptschulabschluss. Er wohnt im Internat der KBF in Reutlingen in der Ringelbachschule. Und auch wie es anschließend weitergehen soll, weiß Thomas schon: "Ich mache eine Ausbildung zum Metallfeinarbeiter." Melanie bleibt an der Dreifürstensteinschule in Mössingen. Für sie geht es im neuen Schuljahr in die Berufsschulstufe im Bildungsgang G.

Aktuell aber gilt die größte Aufmerksamkeit der Zwillinge dem Reiten. Es ist für beide ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden. Auf dem Hof herrscht am Samstagmorgen schon reges Treiben. Melanies Reitpartnerin Leonie führt ihr Pferd aus dem Stall. Alle umarmen sich. Im Reitteam sind Behinderte und Nichtbehinderte, aber auch Mütter, die früher schon einmal geritten sind und nach langer Pause wieder reiten. Thomas und Melanie bereiten inzwischen selbstständig ihre Pferde für das Training vor.

Während Melanie die Hufe der Freiberger Stute Lisa auskratzt, grinst sie über beide Wangen. Sie liebt das Pferd und ihren Sport. "Reiten macht einfach Spaß", sagt sie, "Gewinnen ist toll". Vor allem weil dann alle sehen, dass sie, die in der Schule wegen ihrer körperlichen und geistigen Schwächen aufgezogen wurde, erfolgreich ist und dass sie ein großes Talent hat. "Aber wenn wir mal nicht gewinnen, ist das auch nicht schlimm, man lernt ja trotzdem immer etwas dazu", betont die 17-Jährige. "Jeder Ritt ist ein Erfahrungsritt", hat sie gelernt.

In der Reithalle sind alle hochkonzentriert

Dazulernen ist dann auch in der Reithalle angesagt. Es ist still dort. Die Reiter sind hochkonzentriert. "Womit punkten wir?", ruft Trainerin Christa Hinrichsen Melanie zu. "Mit einem lockeren, geraden Sitz." Etwas, das der Jugendlichen nicht leicht fällt. "Auf dem letzten Röntgenbild sieht ihre Wirbelsäule aus wie ein Fragezeichen", sagt ihre Mutter.

Melanie richtet sich im Sattel auf, soweit sie kann. Hippotherapeutin Hinrichsen – der Landessportverband Baden-Württemberg hat sie vergangenes Jahr mit dem Trainerpreis ausgezeichnet – ist nicht nur sportliche Trainerin der Zwillinge. Sie ist auch die Besitzerin der zum Großteil selbstgezogenen Therapiepferde. Und: Sie coacht Melanie und Thomas auch mental, kennt jede Stärke und Schwäche, jede Charaktereigenschaft.

Während Melanie in der Halle trainiert, vertraut sie Thomas deshalb einen autistischen Jungen und seine Mutter an. Thomas ist der einzige, der es schafft, das Pferd ruhig durch das Gelände zu führen, damit der Junge auf ihm reiten kann.

Doch auch für Thomas ist es mit der Ruhe an diesem Tag bald vorbei. Er führt sein Turnierpferd "Da-schau-hin" in den Pferdeanhänger und es geht zum Trainingsgelände auf den Wiechhaldenhof nach Seebronn bei Rottenburg. Dort bereitet sich der 17-Jährige auf seinen Wettkampf bei den Special Olympics vor. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Ob er trotzdem glaubt, dass er in seiner Kategorie gewinnen kann? "Ich denke schon" und falls nicht, sehe er es getreu dem Special-Olympics-Leitspruch: "Ich will gewinnen, doch wenn ich nicht gewinnen kann, so will ich mutig mein Bestes geben."

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