Birgit Wöhrle ist Herrin über die 20 000 Autos im Westen. Foto: Peter-Michael Petsch

Birgit Wöhrle kümmert sich um die Probleme rund um das Parkraummanagement – und ist trotzdem beliebt.

Stuttgart - Als „schön verrucht“ hat sie das Hinterzimmer des Cafés Soho an der Schwabstraße im Stuttgarter Westen beschrieben, als sie vorschlug, sich dort zu treffen. Nun sitzt Birgit Wöhrle (50) ebendort und wirkt ganz so, als fühle sie sich so wohl wie in ihrem eigenen Wohnzimmer.

Carsten Richter, der Wirt des Soho, empfängt Birgit Wöhrle mit sichtlicher Begeisterung. Er hört gar nicht mehr auf, ihr die Hand zu schütteln. Die Hände im Takt geklatscht hatten auch die Mitglieder des Bezirksbeirats West bei der jüngsten Sitzung, nachdem Wöhrle dort einen Vortrag zu einem Jahr Parkraummanagement gehalten hatte. Der Applaus, wohlgemerkt, galt vor allem ihr und nicht dem System. Solch offene und spontane Beifallsbekundungen sind im Bezirksbeirat selten.

Wieso aber kommt ausgerechnet Birgit Wöhrle, die sich mit einem strittigen Thema wie dem Parkraummanagement auseinandersetzten muss, solch große Sympathie zuteil? „Weil ich mich nicht mit den neuen Parkregeln auseinandersetzen muss, sondern will“, sagt Wöhrle und lacht. Und wahrlich, man nimmt ihr sofort ab, dass sie regelrecht Spaß an dem Thema hat – und sich ihm mit Haut und Haar verschrieben hat.

Die Chance kam mit einem Glückskeks

Dabei kam sie zu der Aufgabe wie die Jungfrau zum Kinde – und da das Parkraummanagement ein Pilotprojekt ist, kann sie sich auch nicht auf Erfahrungswerte stützen. „Ich war zuvor eine ganz normale Bezirkssachbearbeiterin“, sagt Wöhrle.

Doch dann kam der Jahreswechsel 2009/10. Am ersten Januar bekam sie von einer Kollegin einen Glückskeks geschenkt. Darin fand sich ein Zettel, auf dem stand: „Ihre Geduld hat sich gelohnt. Jetzt bekommen Sie die Chance, auf die Sie gewartet haben.“ Am gleichen Tag wurde Wöhrle das Angebot unterbreitet, Projektsachbearbeiterin für das Parkraummanagement West beim Ordnungsamt zu werden. Ihre Aufgabe sollte sein, die Feinarbeit zu leisten – sich also um die Probleme, die das System aufwirft, im Detail zu kümmern –, bei der Besoldung A 11 als Stadtamtfrau (2476 bis 4594 Euro) .

„Meine Tochter war 18 geworden, und ich wollte wieder auf Vollzeit umsteigen – da kam mir die Herausforderung gerade recht“, sagt die alleinerziehende Mutter, die übrigens nicht im Westen wohnt. Denn dass es eine Herausforderung werden würde, dessen war sich Wöhrle bewusst. Mit dem, was dann aber auf sie zukam, hatte sie im Traum nicht gerechnet: Das Thema schlug politisch hohe Wellen und erregte die Gemüter der Bürger.

Wöhrle schwätzt Schwäbisch – und nimmt kein Blatt vor den Mund

Hinzu kam, dass Wöhrle zuvor noch nie direkten Bürgerkontakt hatte, nie Vorträge halten oder Mitarbeiter einlernen musste und sich nie mit Brandschutzbestimmungen beschäftigt hatte. Sie eignete sich alles selbst an – nebenher. Geholfen hat ihr dabei, dass „ich unheimlich fleißig und belastbar bin“, sagt sie. Wer sie einmal erlebt hat, sagt: Geholfen hat ihr am meisten ihre ganz persönliche Art, mit Menschen umzugehen.

Wöhrle schwätzt Schwäbisch – und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Sie ist offen und herzerfrischend heiter, bodenständig und verbindlich, unkonventionell und spontan. „Ich komme aus einem Geschäftshaus, einem Familienbetrieb. Seitdem ich denken kann, habe ich Kunden bedient. Daraus speist sich die Auffassung , die ich von meiner Arbeit heute habe“, sagt Wöhrle. „Für mich ist das normal.“

„Das ist es keineswegs“, mischt sich der Wirt Carsten Richter ein. „Egal mit wem genau ich bisher bei der Stadt zu tun hatte, so schnell und problemlos wie bei Ihnen hat es bisher nie funktioniert.“ Birgit Wöhrle genießt das Kompliment – und schweigt. Tatsächlich aber könnte ohne Birgit Wöhrle wohl niemand mehr morgens seinen Kaffee im Soho trinken. Das liegt an dem Lieferbereich vor dem Soho. „Den gab es zwar schon vor der Einführung des Parkraummanagements, aber damals liefen de Politessen nicht mehrmals am Tag die Straße rauf und runter“, sagt Richter. Nachdem es Knöllchen gehagelt hatte, blieben Richter am Morgen die Gäste aus – darunter viele Handwerker aus dem Umland –, und er überlegte, das Café erst nachmittags zu öffnen. Zunächst aber sprach er mit Wöhrle – und stieß auf offene Ohren. „Ich erwarte aber eine Beteiligung von den Leuten selbst“, sagt Wöhrle, die Richter losschickte, bei den Nachbarn Unterschriften für einen Kurzparker- statt des Lieferbereichs zu sammeln. „Ich musste mir ein einheitliches Bild darüber machen, welchen Bedarf die Bürger haben.“

„ Ich habe wenig Probleme mit Menschen, weil ich einfach mit ihnen schwätze“

Die Bürger sind Wöhrles Maßstab, sie versucht immer – freilich innerhalb der gesetzlichen Regeln, die das System vorgibt – deren Wünsche zu berücksichtigen. „ Ich habe wenig Probleme mit Menschen, weil ich einfach mit ihnen schwätze. Und ich habe keine Angst – auch nicht vor Wahrheiten.“ Auch nicht vor unbequemen. „Wenn was nicht geht, dann sage ich das auch – aber ich erkläre es.“ Egal ob am Telefon oder per Mail: „20.000 Wörter am Tag sind für mich ja gar kein Problem“, sagt Birgit Wöhrle. „Aber mit 78 Anrufen, die ich an einem Tag während der heißen Phase hatte, war selbst ich überfordert.“ Manchmal, erinnert sie sich, beantwortete sie an einem Tag 200 Mails – am kommenden Tag warteten schon die nächsten 200 auf sie.

Mit 20.000 Wörtern hat sie die 20.000 Autos im Westen im Griff. Auch vor dem direkten Kontakt mit dem Bürger schreckt sie nicht zurück: Sie geht – anders als es ihr Aufgabenbereich vorsieht – auch mal persönlich raus ins Bürgerbüro. Auf die Beschwerdekarten, die es auf sie herabregnete, reagierte sie nicht mit Briefen, sondern lud die Anwohner zu Ortsterminen – zu denen sie mit der Feuerwehr anrückte, die die Rettungssituation im Notfall erklärte. „Danach sagte meist niemand mehr was.“ Kein Wunder, gibt sie doch einem unpersönlichen System eine persönliche Note, ja ein Gesicht.

Das erkannte auch der Gemeinderat. Im Dezember 2011 verlängerte er ihre Stelle um zwei bis drei Jahre. Arbeitslos wird Wöhrle ohnehin nicht: Nachdem die Stadt das Parkraummanagement ausdehnen möchte, ist sie gefragter denn je. „Die Bezirksbeiräte aller Stadtteile kommen auf mich als Expertin zu“, bestätigt Wöhrle. Vielleicht ist sie bald für alle Autos der Stadt zuständig. Ob dann 20.000 Wörter reichen werden?