Er ist einer der teuersten Künstler unserer Tage. Aber Gerhard Richter ist auch um sein Vermächtnis bemüht – und begeistert die Menschen in Berlin mit einer Ausstellung.
An Geld wird es ihm nicht mangeln. Schließlich gilt Gerhard Richter seit Jahrzehnten als einer der wichtigsten und vor allem teuersten Künstler der Welt. Beim Kunstkompass, einem internationalen Ranking, belegt er seit dreißig Jahren immer einen der ersten Plätze, zehnmal schaffte er es sogar ganz an die Spitze. Auch sonst wurde der Maler schon mit reichlich Ruhm und Ehre überschüttet – und doch kann sich am Ende eines langen Lebens die Frage stellen: Was bleibt?
100 Werke als Dauerleihgabe für die Hauptstadt
Deshalb hat Gerhard Richter, der inzwischen 91 Jahre alt ist, Berlin vor zwei Jahren hundert Werke zwar nicht geschenkt, aber als langfristige Dauerleihgabe überlassen. Damit will sich der Kölner Künstler einen prominenten Platz im neuen Museum des 20. Jahrhunderts sichern. Im teuren Neubau der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron soll ihm ein eigener Raum im Obergeschoss gewidmet werden. Allerdings geht es auch hier wie bei den meisten Baustellen nur langsam voran, sodass die „100 Werke für Berlin“ nun vorab in der Neuen Nationalgalerie, direkt neben der Baustelle, der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Fotoeditionen erinnern an Richters Hauptwerke
Und die ist verzückt. So drängten schon bei der Vernissage Menschenmassen in die Ausstellung, frohlockten und fotografierten im Akkord, weil Popularität doch immer ein Garant für Begeisterung ist. Dabei sind es freilich nicht Richters Hauptwerke, die zu sehen sind, nicht „Ema“, der viel reproduzierte Frauenakt auf einer Treppe, auch nicht sein ikonisches Gemälde „Kerze“.
Einige Fotoeditionen geben zumindest Einblicke in die Methode, die Gerhard Richter bekannt machte: In den 1960er Jahren – er war gerade aus der DDR in den Westen geflohen – begann er, Fotografien als Vorlagen zu verwenden. Dabei nutzte ihm sein handwerkliches Können, das er in seiner Ausbildung zum Bühnen- und Werbemaler perfektioniert hatte. Die Vorlagen, oftmals private Aufnahmen aus dem eigenen Familienalbum, verwischte er gezielt. Wenn man nun seinen „Onkel Rudi“ in Wehrmachtsuniform sieht, kann das Verwischen auch als Ausdruck des Verdrängens, Verschleierns und Verblassens deutscher Geschichte gelesen werden.
Kann man die NS-Gräuel malen? Nein, meint Gerhard Richter
Nach Auschwitz, schrieb Theodor Adorno nach dem Zweiten Weltkrieg, sei es unmöglich geworden, Gedichte zu schreiben. Wie kann Malerei aber auf die barbarische Vergangenheit reagieren? Das ist eine Frage, die sich Gerhard Richter immer wieder gestellt hat, so auch 2014 in seinem „Birkenau“-Zyklus, der das Herzstück der Berliner Leihgaben ist. Grundlage sind Fotos, die im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gemacht wurden und Leichen, Aufseher und den Rauch der Gaskammern zeigen. Richter übertrug die Motive mit Kohle auf vier Leinwände, um sie dann doch zu übermalen. „Man kann das nicht befriedigend darstellen“, erklärte er seinerzeit.
Die vier aschgrauen Bilder in der Neuen Nationalgalerie verraten nichts mehr von ihrem dunklen Kern und reihen sich ein in die Folge ähnlicher, abstrakter Werke, nur die Fotos aus dem KZ erinnern noch an ihr Geheimnis. Als Richter die Bilder zum ersten Mal ausstellte, firmierten sie tatsächlich noch als „Abstrakte Bilder“. Inzwischen verrät der neue Titel „Birkenau“ den Bezug zum Holocaust. Große Spiegel im Raum wollen das Publikum zur Reflexion anhalten, aber im Trubel bleibt wenig Raum für Besinnung.
20,9 Millionen für Schlüsselwerk
„192 Farben“ von 1966, das im vergangenen Jahr auf einer Auktion 20,9 Millionen Euro erzielte, gilt als ein Schlüsselwerk Gerhard Richters – und hat wenig gemein mit seinen Übermalungen und den Abstraktionen. Grundlage dieser farbigen Quadrate sind Farbkartenmuster aus der Industrie. In der Berliner Ausstellung sind nun ähnliche Farbfeld-Arbeiten zu sehen, auch hier wurden quadratische Farben aus Lack zu einem Bild zusammengesetzt, das sich nüchtern jeder Erzählung und gefühligen Bedeutung entzieht.
Die Werke weisen ins vergangene Jahrhundert
Einen Großteil der „100 Werke für Berlin“ bilden kleine, eher beiläufige Formate – eine Auswahl aus der Werkgruppe „Übermalte Fotografien“, an der Richter seit fast vierzig Jahren arbeitet und dafür Fotos verfremdet. Auf den Fotos eines Hundes auf dem Sofa oder von einem Kind am Strand hat er malerische Spuren hinterlassen. Es sind Fingerübungen, so, wie auch die kleinen Glasbilder aus der Serie „Aladin“ eher Nebenwerke sind: Hierzu lässt Richter Farbe auf eine Fläche tropfen, die er mit einem Spachtel verstreicht.
Nur auf den ersten Blick verwundert es, dass er in das neue Museum des 20. Jahrhunderts fast nur Arbeiten gibt, die im 21. Jahrhundert entstanden sind. Letztlich verweisen sie als eine Art Reflex aufs vergangene Jahrhundert und Richters große Zeiten.
Berlin erweitert sein Museumsquartier
100 Werke
Die Dauerleihgaben werden bis 2026 (Di bis So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr) in der Neuen Nationalgalerie Berlin gezeigt, danach sollen sie im „Museum des 20. Jahrhunderts“ präsentiert werden, das auf dem Scharounplatz zwischen Philharmonie, Gemäldegalerie und Neuer Nationalgalerie entsteht.
Baum
In der Mitte des Baufelds steht eine 150-jährige Platane. Sie gilt als Naturdenkmal und soll erhalten bleiben. Deshalb haben die Architekten Herzog & de Meuron eine rechtwinklige Aussparung im Grundriss vorgesehen. adr