Gleich mal über zehn Kilo schwerer: Bürgermeister Jonathan Berggötz lässt sich vor dem Rundgang von Maria Bucher in den Altersanzug helfen. Foto: Kaletta

Damit die Personen, für die es in der Stadt keinerlei Hindernisse gibt, erleben, wie es ist, vor Barrieren zu stehen, hatte Behindertenbeauftragte Inge Teichert zu einem Rundgang durch die Innenstadt eingeladen.

Bad Dürrheim - Stufen vor der Ladentüre, hohe Bordsteine, Rillen auf gepflasterten Plätzen: für Menschen ohne Behinderung kein Problem. Doch wie erleben es die diejenigen, die auf den Rollstuhl oder einen Rollator angewiesen sind, oder Sehbehinderte oder Senioren, denen die Bewegungen nicht mehr so leichtfallen? Der Rundgang wurde passend zum europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung durchgeführt. Unterstützt wurde Inge Teichert dabei von Ehrenamtsikoordinatorin Maria Bucher und Simone Laux vom Malteserhilfsdienst

Vor dem Haus des Bürgers trafen sich die interessierten Teilnehmer mit und ohne Rollstuhl und Rollator, diese Hilfsmittel standen für die nichtbehinderten Personen bereit, die gerne davon Gebrauch machten, ebenso von Schwachsichtsbrillen und einem Altersanzug.

In die Lage der Senioren versetzt

"Dieser Aktionstag ist nicht unbegründet", erklärte Bürgermeister Jonathan Berggötz. Es sei eine gute Möglichkeit, wenn Menschen ohne Behinderung sehen, wo es für andere Barrieren gibt. "Urteile nicht über einen Menschen, bevor du nicht tausend Schritte in seinen Schuhen gegangen bist". Mit diesem indianischen Weisheitsspruch gab Berggötz den Start für diese Aktion.

Mithilfe von Maria Bucher schlüpfte er in einen so genannten Altersanzug, bestehend aus Manschetten an Armen und Beinen sowie einer zehn Kilo schweren Weste. So ausgestattet machte er sich auf den Weg. Mit dabei einige Gemeinderäte, die sich ebenfalls mit den Hilfsmitteln ausrüsteten.

Zuvor hatte Inge Teichert die Pläne für den Rundgang verteilt und bat, auffallenden Stellen anzukreuzen. Vom Haus des Bürgers ging es durch die Friedrichsstraße bis zum "Pusteblumebrunnen". Dem ersten Hindernis begegnete Gemeinderat Wolfgang Kaiser, als er sich mit dem Rollstuhl über den Rathausplatz begab. Eine Rille in der Pflasterung erschwerte das Weiterkommen.

Schwer, ein Eis zu kaufen

"Nicht einmal ein Eis könnte ich mir kaufen, wenn ich im Rollstuhl sitzen würde. Überall nur Stufen!", stellte Gemeinderat Albrecht Schlenker fest. Bewusst wurde es allen, wie viele Ladengeschäfte in der Innenstadt nur über Stufen betreten werden können.

Astrid Schweizer-Engesser, Öfingens Ortsvorsteherin, hatte sich eine Schwachsichtsbrille aufgesetzt und musste sich vom Integrationsbeauftragten Uwe Hils führen lassen, um nicht zu stolpern oder irgendwo anzustoßen. Dieser setzte sich beim Wechsel der Hilfsmittel in einen Rollstuhl und stellte fest, wie mühsam und anstrengend es ist, sich damit fortzubewegen. Auch der Rathauschef gestand, dass er richtig "fertig" sei, nachdem er die weitere Strecke mit dem Rollstuhl fortsetzte. Die Teilnehmer, die tatsächlich Einschränkungen haben und auf Hilfsmittel angewiesen sind, erläuterten den Begleitern, an welchen Stellen sie besondere Probleme haben. Manfred Kempf, selbst Rollstuhlfahrer, versetzte sich in die Lage eines Sehbehinderten. "Alles nur grau, obwohl die Sonne scheint. Es fehlt an Farbe", stellt er fest.

Fahrer beschimpft Gruppe

Kopfschüttelnd erlebt werden konnte auch, wie rücksichtslos manche Zeitgenossen sich gegenüber den Behinderten verhalten. Als die unübersehbare Gruppe die Friedrichsstraße überquerte, fühlte sich ein Fahrer eines Kleintransportes behindert, da es ihm nicht schnell genug ging. Er schrie herum, stieg aus, schimpfte und drohte mit der Faust.

Inge Teichert bat, trotz allem auch Positives anzukreuzen. Sie machte in der Bahnhofsstraße auf eine flache Rampe aufmerksam, die direkt vom Behindertenparkplatz zur Apotheke und zu Arztpraxen führte.

Die Zettel mit dem aufgezeichneten Rundweg wurden am Ende der Tour eingesammelt, sie werden nun ausgewertet und dort wo es geht, sollen die Schwachstellen bearbeitet werden.

Maria Bucher machte deutlich, dass es nicht nur alleine von der Stadt bewältigt werden könne. Auch die Geschäftsleute sollten sich darüber Gedanken machen. Letztendlich müsse auch an Eltern gedacht werden, die mit dem Kinderwagen unterwegs sind, auch für sie gäbe es einige Barrieren.