Rottler (von links nach rechts): Alexander Dannecker, Christian Rottler, Michael Setzer, Marc Eggert Foto: /Gabriel Habermann

Der Stuttgarter Christian Rottler hat sich mit seiner Band Rottler neu erfunden. Am Samstag stellt er beim Klinke-Festival im Merlin sein aktuelles Album vor.

Das erste Album von Rottler, „Disziplin und Zigaretten“, ist, knapp gesagt, ein Orkan. Da tosen die Gitarren, da schreit sich einer mit cooler, gequälter Stimme die Seele heraus: „Wir machen Lärm, und was macht Ihr?“ Es gibt eine erste Single zum Album, sie heißt „Tavor“. Wendet man sie, hört man das Lied der ersten Seite noch einmal. Doch da ist kein Gitarrensturm, da ist ein luftig angeschlagenes Instrument, und die Stimme von Tom Liwa singt den Text, ganz anders, leicht, verträumt und resigniert.

Immer im Tonfall leichter Hysterie

Christian Rottler kennt Tom Liwa, den Frontmann der Flowerpornoes, seit er ihn interviewte, während seines Studiums in Weimar. Der Kontakt blieb bestehen, Rottler sandte Liwa seine Lieder, Liwa schlug vor, sie zu produzieren. Das aber übernahm schon Marc Eggert, der Bassist von Rottler, mit kongenialer Unterstützung durch Ralv Milberg, der gute Arbeit auch leistete für Die Nerven, Human Abfall und andere. Drum sang Tom Liwa ein Dutzend Songs von Christian Rottler ein, die nun nach und nach veröffentlicht werden, in kleineren Formaten: Fast ein fremdes Spiegelbild des Originals entstand so, in verstreuten Fragmenten. Es führt zurück zu den Ursprüngen des Albums, denn Rottler schrieb seine Songs im schrammeliger Songwritermanier, ehe er sie mit seiner neuen Band unter Druck setzte.

Tom Liwas Interpretationen haben einen eigentümlichen Effekt: Das Album verliert an stilistischer Eindeutigkeit, beginnt zu mäandern zwischen den Zeichen und Zeiten, gerade so wie der Gedankenfluss Christian Rottlers, der sich durch die Stücke zieht, Pop und Persönliches verknüpft und in Bilder verwandelt, die sich im Allgemeinen auflösen, immer ein wenig schmerzlich, im Tonfall leichter Hysterie.

Verehrung für Alt-Kanzler Helmut Schmidt

Christian Rottler wurde 1978 in Stuttgart geboren, zog nach Weimar fürs Studium, kehrte zurück. Mit ersten Bands trat er auf zu Beginn der 90er, die Vorgängerband von Rottler hieß Lenin Riefenstahl. Unter dem Namen Rotte veröffentlichte er ein Elektroalbum; sein Scheitern an der Lektüre von Marcel Proust arbeitete er dreifach auf, als Hörspiel, Buch, Schallplatte. Er betreibt die Zubereitung von Espresso wie eine Wissenschaft, hat alle Bücher von Thomas Bernhard gelesen, hört manchmal über Monate hin nichts anderes als Keith Jarretts „The Köln Konzert“. Und er verehrt den Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt als Kettenraucher und Stoiker. Von Schmidt her kommt der Titel des neuen Albums: „Disziplin und Zigaretten.“

Verbeugung vor den 90er Jahren

Lenin Riefenstahl waren ein Trio, Rottler sind ein Quartett. Christian Rottler konnte Michael Setzer als Gitarristen für die Band gewinnen, und neue Dimensionen eröffneten sich. Am Schlagzeug sitzt Alex Dannecker. Am 5. August stellt die Band ihr Werk im Merlin beim Klinke-Festival vor. Es ist ein Album, das sich querstellt, ganz von heute ist und doch von gestern, die Summe vieler Jahre. „Irgendwo“, sagt Rottler, „ist die Platte auch eine Verbeugung vor der Musik der 1990er Jahre. Diese postpubertäre Punkscheiße lässt einen eben auch jenseits der 40 nicht los.“

Rottler: Disziplin und Zigaretten. (Rotte Records)