Fotos: Engelhardt Foto: Schwarzwälder Bote

Thomas Schulz erläutert in der Stadthalle das "nächste große Ding" aus dem Silicon Valley

Muss man sich sorgen? Oder der Entwicklung zuversichtlich, optimitisch entgegensehen? Mit dieser Frage entließ Thomas Schulz am Samstag die zahlreichen Besucher des Balinger Bürgertreffs. Davor hatte er über ein Thema gesprochen, das seiner Meinung nach noch viel zu wenig diskutiert wird: die Zukunft der Medizin.

Balingen. Schulz, langjähriger Korrespondent des Nachrichtenmagazins Der Spiegel in den USA, beleuchtete das "nächste große Ding", das aus dem Silicon Valley kommt: die Auswirkungen und Möglichkeiten der Digitalisierung der Medizin. Dabei machte Schulz deutlich, dass es nicht um Zukunftsmusik geht – sondern dass Vieles, was sich bis vor kurzer Zeit noch wie Sciece Fiction anhörte, längst Gegenwart ist.

Zahlreiche Firmen im Silicon Valley nahe San Francisco, oft unter der Regie großer Tech-Unternehmen wie Google, Microsoft oder Amazon oder finanziert mit enormen Summen Wagnis-Kapitals, forschen derzeit daran, Krankheiten noch vor deren Ausbruch zu erkennen. Ziel sei es, so Schulz, die Lebenszeit von Menschen zu verlängern. Das höre sich vielleicht irre und abgehoben an, tatsächlich aber gebe es bereits einige Forschungserfolge.

In der Medizin gebe es derzeit gewaltige Fortschritte, weil Vieles zusammenkomme: Neben den finanziellen Möglichkeiten für die Forscher auch deren unbremsbarer Optimismus und Utopismus. Und dann auch die Künstliche Intelligenz (KI): Dank immer besserer Rechnerleistungen und feiner Algorithmen und damit der Möglichkeit, Daten systematisch – und schnell – zu verarbeiten würden mittlerweile selbst "wildeste Fantasien" Realität. Mitunter schneller, als es selbst manche Forscher erwarteten. Beispiel: der Krebs-Bluttest, entwickelt von einem Start-Up. 200 Mediziner füttern dort ebensoviele IT-Leute und diese wiederum Rechner mit Daten; am Ende sei es möglich, die Krankheit zu erkennen, bevor sie überhaupt ausbricht. Dank Künstlicher Intelligenz sei es möglich, unfassbare Datenmengen zu erfassen, zu systematisieren – und so Krankheitsmuster zu erkennen. Dass es dafür keiner besonderen medizinischen künstlichen Intelligenz bedarf, machte Schulz am Beispiel des deutschen Informatikers und Robotik-Spezialisten Sebastian Thrun deutlich, der das erste selbstfahrende Auto entwickelte. Und den Algorithmus, der dem zugrundlag, auf die Früherkennung von Hautkrebs übertrug.

Ein weiteres Beispiel: die sogenannte Gen-Schere, mit deren Hilfe man nicht nur Pflanzen ertraggreicher umodeln kann, sondern durch die auch Erbkrankheiten und genetisch bedingte Erkrankungen heilbar werden. Deren Entwicklerin habe ihm, so Schulz, vor sechs Jahren prophezeit, dass es noch drei Jahrzehnte dauern würde, bis diese Technologie am Menschen einsatzreif sei. Sie irrte sich: Bereits 2018 machte ein chinesicher Mediziner Schlagzeilen, der das Erbgut von Babys vor deren Geburt mit der Gen-Schere verändert hatte. Dass selbst die führende Forscherin in diesem Bereich derart danebenliegen könne zeige, so Schulz, die "Gesamtbeschleunigung" in diesem Bereich. Die Forschung habe sich bislang in "Trippelschritten" vorwärts bewegt, die Künstliche Intelligenz sorge nun für zahlreiche Durchbrüche. Und ganz neue, heute noch unvorstellbare Dimensionen seien wohl mit dem Quanten-Computer erst noch möglich.

Während die neuen Techniken in rasendem Tempo Einzug in unser Leben fänden, hinke die gesellschaftliche Debatte über deren Auswirkungen deutlich hinterher. Sollen etwa Krankenhäuser Patientendaten großen Tech-Konzernen anvertrauen, schon weil sie selbst zu deren Analyse nicht in der Lage sind? Kann man medizinische Forschung privaten Unternehmen überlassen, oder soll diese nicht besser in akademischer oder staatlicher Hand sein? Ganz abgesehen davon seien die Folgen der schon heute möglichen Behandlungen, etwa von Erbkrankheiten, bisher wenig erforscht. Man wisse genau, so Schulz, dass die Medizin "das nächste große Ding" aus dem Silicon Valley sei – "aber wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen".