Helmut Reitemann: "Wichtig ist, dass wir konsequent dabeibleiben."Foto: Maier Foto: Schwarzwälder Bote

Umwelt: Der Balinger Oberbürgermeister spricht über lokale Maßnahmen und den global mitunter fehlenden politischen Willen

Balingen. Dass sich Leben und Umwelt deutlich verändern werden, sagt auch der Balinger Oberbürgermeister Helmut Reitemann in einem Interview. Ziel des Interviews ist es, herauszufinden, wie gut die Stadt Balingen ihre Energiepolitik verfolgt. Und was tut die Stadt sonst noch, um den Wandel abzumildern?

In dem 2009 beschlossenen Klimaschutzkonzept der Stadt Balingen geht es um ein mittel- bis langfristig angelegtes Programm hinsichtlich der Energieeinsparung an diversen städtischen Gebäuden. Es gibt eine Gebäude-Prioritätenliste, die Sanierung als Ziel hat. Sind die Ziele erreicht?

Die Maßnahmen sollten zwischen 2011 und 2020 durchgesetzt werden. Zum Teil ist das bereits erledigt. Das heißt: 39 Gebäude von angepeilten 45 sind saniert. Doch durch die aktuelle Corona-Situation sind die Gelder recht reduziert. Daraus folgt, dass die Sanierung ein oder zwei Jahre länger dauern wird. Man möchte durch diese Liste das CO2-Einsparpotenzial und die damit verbundenen Energiekosteneinsparung veranschaulichen.

Ein Beispiel für Gebäude auf der Prioritätenliste sind die beiden Schulzentren Längenfeld und Frommern. Wie weit sind diese schon angepasst, und was möchte man in naher Zukunft noch erreichen?

Am Schulzentrum in Frommern wurde bereits eine Dach- und Fassadensanierung vorgenommen. Ebenso wie eine zusätzliche Holzpelletheizung, um das Wärme und Strom Niveau, das durch das Ganztagesangebot angestiegen ist, wieder zu senken. Am Schulzentrum Längenfeld hat man sich um einzelne Dachsanierungen und um die Lüftung gekümmert. Gerne wären wir mit der energetischen Sanierung unserer Schulzentren weiter, aber da man Gebäudeschäden oder Sanierungsarbeiten zur Verbesserung der Sicherheit nicht beeinflussen kann, haben solche ungeplanten Baumaßnahmen Vorrang. Ein Beispiel hierfür ist die Sanierung und das Auf-den-Neuesten-StandBringen der Klassenzimmer.

Nicht nur die Stadt tut etwas, sondern auch ihre Bewohner. Was ist Ihre Meinung zur Fridays-For-Future-Bewegung in Balingen?

Es ist gut, dass sich junge Menschen Gedanken um die Umwelt und ihre eigene Zukunft machen. Der Klimawandel hat uns sensibilisiert. Aber ich hoffe auf eine noch breitere Verhaltensänderung, sodass auch tatsächlich weniger Energie verbraucht und mit der Umwelt und der Natur nachhaltiger und schonender umgegangen wird.

Kann man Ihrer Meinung nach den Klimawandel nur politisch verhindern oder abmildern?

Den heute schon deutlich spürbaren Klimawandel zu verhindern oder zumindest deutlich abzumildern, setzt einen weltweiten politischen Willen voraus, auch die notwendigen Maßnahmen – Ausbau regenerativer Energie, Reduzierung von Warentransporten – ergreifen zu wollen. Leider ist dieser politische Wille derzeit nicht überall auf der Welt vorhanden, oder die Maßnahmen können gerade in Entwicklungsländern nicht finanziert werden, sodass die notwendigen Maßnahmen nur schleppend vorankommen.

Schaut man sich die Klimaziele 2020 an, stellt man sich die Frage: Sind diese erreichbar? Vor allem in der die aktuellen Situation?

Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind viele Industrieanlagen stillgelegt worden. Dies hat dazu geführt, dass sich der CO2-Ausstoß deutlich verringert hat. Ob dies über das ganze Jahr 2020 betrachtet reicht, ist derzeit noch nicht abschätzbar. Einen dauerhaften Einfluss der Pandemie auf das Erreichen der Klimaziele sehe ich deshalb nicht, da bereits Industrieanlagen hochgefahren wurden, der Straßenverkehr zugenommen hat, Beschränkungen bereits aufgehoben wurden und die Hoffnungen auf einen Impfstoff bis in etwa einem Jahr sehr groß sind.

Warum handelt man beim Klimawandel langsamer als bei der Coronakrise?

Corona ist hautnah zu spüren, es können Todesfälle im persönlichen Umfeld passieren, oder es trifft einen selbst. Man muss das Virus verlangsamen, dadurch sind die Restriktionen nachvollziehbar. Natürlich sind die Folgen vom Klimawandel spürbar – aber viele Menschen haben keine persönlich negativ spürbaren Auswirkungen.

Ist es Ihrer Meinung nach überhaupt möglich, dass alle Länder an einem Strang ziehen in Sachen Klimawandel?

Es werden erst alle mitmachen, wenn sie deutlich davon betroffen sind oder man erkennt, dass Länder, die bereits vorangegangen sind, technologische und wirtschaftliche Vorteile daraus ziehen.

Was uns brennend interessiert, ist die Frage, was in Deutschland als Folge des Klimawandels passieren wird? Und ob der "Point of no Return" schon überschritten ist?

Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass es längere Trockenperioden geben würde, die von kurzen und heftigen Niederschlagsphasen unterbrochen werden. Daraus folgt, dass das Klima wärmer werden und sich eine neue Fauna und Flora bilden würde. Es würde die Fichte als Beispiel so im Wald nicht mehr geben. Die Wasserversorgung muss Speicherkapazitäten schaffen, damit während der Trockenperiode die Menschen mit dem notwendigen Nass versorgt werden. Die Gebäude müsste man ändern, da dann die Heizung in den Hintergrund fällt und die Lüftung und Klimaanlage in den Vordergrund rücken. Das Zurückdrehen des Klimawandels wird nicht mehr gelingen, aber man kann eine Abmilderung anstreben.

Abschließend noch eine Frage an Sie persönlich, Herr Reitemann. Hat die Menschheit zu spät angefangen zu handeln?

Ob die Menschheit zu spät dran ist oder ob es uns noch gelingt, den Klimawandel zu stoppen oder wesentlich abzumildern, das kann man momentan noch nicht mit Sicherheit sagen. Wichtig ist aber, dass wir konsequent dabeibleiben, ressourcenschonend und nachhaltig zu wirtschaften, damit auch unsere Nachkommen eine Erde vorfinden die ihnen einen adäquaten Lebensraum bietet.

 Die Fragen stellte Cassandra Mrsa.