"Wünsch dir was": Klasse der Längenfeldschule Balingen erlebt Abend mit Schriftsteller Mai

Von Steffen Maier

Und plötzlich ist es mucksmäuschenstill. Alle Augen sind auf den gerichtet, der da vorliest aus der Geschichte "Die geheimnisvolle Tür". Sie erzählt vom schier unglaublichen Mut des jungen Alexander, der in einem Hochhaus im Aufzug tatsächlich den "U"-Knopf gedrückt hat – und das, obwohl ihm ein Kumpel gesagt hat, dass man mit diesem Knopf direkt in die Unterwelt fährt. Alexander überwindet seine Angst, landet in einer fantastischen Welt – und die Jungen und Mädchen, die der Geschichte gelauscht haben, atmen erleichtert auf.

Die Lesung aus dem Kinderbuch dauerte rund zehn Minuten, aber es war wegen der in der Luft liegenden Spannung vielleicht der eindringlichste Moment des Besuchs von Manfred Mai in der Klasse 4d der Längenfeldschule Balingen – einmal abgesehen von der Begrüßung: "Herr Mai ist da, Herr Mai ist da", schrien die Schüler durch die Flure, als der Schriftsteller aus Winterlingen die Treppe zum Klassenzimmer hochlief. Schon die ganze Woche über seien ihre Schüler aufgeregt gewesen, sagte Klassenlehrerin Angelika Mallien; ein für diesen Tag vorgesehenes Diktat sei wegen der absehbaren Konzentrationsschwächen sogar verschoben worden.

Mit Unterstützung der Sparkasse Zollernalb hat der Schwarzwälder Bote im Rahmen der vorweihnachtlichen Aktion "Wünsch dir was" den 18 Mädchen und Jungen den exklusiven Leseabend ermöglicht. Mai hat während der zwei Stunden indes nicht nur gelesen – er ließ sich von den Schülern zu seinem Beruf, seinem Privatleben, seinen Interessen und seinen Buchplänen derart löchern, dass er beinahe als Schweizer Käse geendet wäre.

Wie er Schriftsteller geworden ist (auf Umwegen), was seine Lieblingsfarbe (rot), sein Spitzname (Manni), sein Hobby (Fußball und Tennis), seine Körpergröße (1,85 Meter), was sein Lieblingstier (eigentlich keines, seit neuestem aber Katzen), wer der Hersteller seines Autos ist (Volkswagen, Passat) und wie viele Bücher er bis heute geschrieben hat (180) – die Längenfeldschüler wollen das und noch viel mehr und also wirklich alles wissen.

Mai verrät zudem, was sein persönliches Lieblingsbuch ist – ganz klar: "Ringo Rabe traut sich was". Und er liest für die Viertklässler eine Passage aus dem noch unfertigen Manuskript mit dem Arbeitstitel "Schwabenkinder"; es geht um junge Tiroler und Schweizer, die sich in früheren Jahrhunderten auf Geheiß ihrer armen Bergbauernfamilien als Saisonarbeitskräfte bei Landwirten in Oberschwaben verdingen mussten. Das Buch soll im nächsten Jahr erscheinen, und mit den Kindern diskutiert Manfred Mai den Titel: "Abschied"? "Weg der Tränen"? Was klingt besser?

Bei alldem wird vor allem eines deutlich: Mai nimmt die Kinder ernst, er fordert sie. "Denkt nach, strengt euch an, auch wenn es schon abends ist", fordert er sie auf, nachdem er gelesen hat. "Na, was bedeutet das? Sagt‘s mir!" Die Frage, was es braucht, um ein Schriftsteller zu werden, sollen sich die Schüler selbst beantworten – und die Hände gehen hoch: Papier, Stift, Zeit – und natürlich jede Menge Ideen, eine große Fantasie, und, ja, auch das: Sitzfleisch.

So gestaltet sich der Leseabend zu einem witzigen, interessanten und vielfältigen Hin und Her zwischen dem Schriftsteller und den Schülern.

Zugleich gibt der gebürtige Winterlinger den Viertklässlern sein wichtigstes Anliegen mit auf den Weg: Lesen sollen sie, um sich und die Welt immer wieder neu zu sehen und zu entdecken.Wie so viele Figuren in seinen Büchern sollen die Schüler etwas wagen, sollen ihren eigenen Weg gehen, auch wenn das bedeuten könne, so Mai, dass man mitunter auf die Nase falle. Das aber sei egal, solange man wieder aufstehe. "Kinder", sagt Manfred Mai, "ich wünsche euch Mut, ich will, dass ihr euch etwas traut im Leben."