Ein harter Schaffer in Sachen Kunst: Pablo Wendel steht im früheren E-Werk von Luckenwalde. Dort produziert der Balinger von diesem Samstag an Kunststrom. Foto: Maier

Pablo Wendel reaktiviert früheres Braunkohlekraftwerk – und gibt damit einer ganzen Region neue Energie.

Balingen/Luckenwalde -  Auch die New York Times war in dieser Woche schon da. Reporterin Louisa Elderton beschreibt für das US-amerikanische Weltblatt, was sich in Luckenwalde, der Kreisstadt des Landkreises Teltow-Fläming in Brandenburg mit rund 20 000 Einwohnern, tut. Die Überschrift ihres Artikels: "An Electric Temple of Culture Fires Up" – "Ein Kunst-Elektro-Tempel wird angeworfen". Einer der Anheizer, mittendrin und maßgeblich mit dabei: Pablo Wendel aus Balingen (Zollernalbkreis).

Wendel, 39 Jahre alt, setzt mit der gemeinnützigen Performance-Electrics GmbH das denkmalgeschützte frühere Kohlekraftwerk südlich der Bundeshauptstadt Berlin und den ganzen Ort unter Strom. Unter Kunststrom, um genau zu sein. Auf neue Art und Weise soll es Energie in die Welt setzen. An diesem Samstag legt Wendel dafür den Schalter um.

Das E-Werk in Luckenwalde wurde 1913 gebaut. Es versorgte die Region mit Strom. Nach dem Fall der Berliner Mauer kam das Aus für das Braunkohlekraftwerk. 2002 wurde es restauriert und als Zentrum für Aus- und Weiterbildung genutzt, ehe es wieder leerstand – bis Wendel kam.

Der Balinger war auf der Suche nach einem neuen Domizil für sein Performance-Electrics-Projekt, das er 2012 gründete und mit dem er bis dahin in Stuttgart ansässig war. Dort wurde es ihm indes zu eng. Als er dabei in Luckenwalde das frühere Kraftwerk gesehen habe, sei er "wie elektrisiert" gewesen. 2017 kaufte er es.

Pablo Wendel studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Bildhauerei. Er realisierte zahlreiche, teils spektakuläre Werke und Installationen. Weltweite Aufmerksamkeit wurde ihm im Jahr 2006 zuteil, als er sich mit einem selbst angefertigten Kostüm samt Sockel als Infanteriesoldat inmitten der streng bewachten Terrakottaarmee in der chinesischen Kaiserstadt Xi’an aufstellte. Die Chinesen waren damals not amused.

Auch mit Strom – Kunststrom – experimentierte der Balinger bereits in seinen Arbeiten. So zapfte er etwa Energie von Leuchtreklamen in der Stuttgarter Marienstraße ab und betrieb auf diese Weise eine Glühbirne in seinem Ausstellungsraum. Der Name der Arbeit: "Schmarotzer". Mit solchen Arbeiten wolle er Menschen ermuntern, technische Ressourcen aus einer anderen Perspektive zu sehen, sie zugleich mit Kunst und Ästhetik zu verbinden. Und zugleich Umweltfragen thematisieren.

In Luckenwalde nun stellt Wendel selbst Energie zur Verfügung: Das E-Werk Luckenwalde vereine Funktion mit Metapher, verbinde Strom mit Kunst, sagen Wendel und Helen Turner, die gemeinsam als künstlerische Leiter fungieren. Von dort aus wolle man, konsequent, fortan Kunststrom ins Netz einspeisen. Wendel ruft dazu auf, zu Performance Electrics zu wechseln: Es handele sich um den einzigen Anbieter von 100 Prozent Kunststrom weltweit. Man verzeichne, heißt es in Anlehnung an Marketingtexte traditioneller Anbieter, eine stetig wachsende Zahl von Kunden, darunter Museen, öffentliche Institutionen und private Haushalte.

Das erste Programm unter dem Motto "Kunststrom" im E-Werk bringt elf internationale Künstler zusammen. Sie setzen sich mit utopischen Möglichkeiten von Energie, Autonomie und Produktion auseinander. "Kunststrom", so die Ankündigung, zeige auf, "wie Kultur, Aktion und Zusammenarbeit aktiv das soziale Bewusstsein entwickeln und den gesellschaftspolitischen Wandel anregen können." Das Programm vereine zeitgenössische Kunst, Industrie und Energie zu einem "Gesamtkunstwerk" und wolle zu neuem Denken anregen.

Tatsächlich wird neben der Energie, die von der Kunst ausgehen soll, fortan auch wieder Strom in Luckenwalde produziert. Nach der Ankündigung, das frühere E-Werk wieder in Betrieb nehmen zu wollen, seien die Leute vor Ort zunächst einmal erschrocken gewesen, sagt Wendel am Freitag im Gespräch mit unserer Zeitung. Etwa wieder mit Kohle, die früher lastwagenweise aus der Lausitz herransportiert worden war? Nein, konnte der Balinger beruhigen: In der neu installierten Pyrolyse-Anlage werden Hackschnitzel verarbeitet. Teile der alten Infrastruktur werden dafür, auch dank der tatkräftigen Mitarbeit und Unterstützung früherer Mitarbeiter des E-Werks, wieder in Gang gesetzt.

Überhaupt, die Leute vor Ort: Von der Hilfsbereitschaft der Luckenwalder und deren Offenheit und Neugier gegenüber seinem Vorhaben sei er überwältigt, sagt Pablo Wendel. Vielleicht liegt das auch daran, dass er mit seinem Engagement in eine Lücke vorgestoßen ist: Die kulturellen Angebote im Landkreis Teltow-Fläming sind, im Vergleich zum Süden der Republik, deutlich dünner. Mit der Reaktivierung des einstigen Braunkohlekraftwerks füllt Wendel ein Vakuum, in doppelter Hinsicht: Er haucht einem Wahrzeichen der Stadt und der Region neues Leben ein – und macht dort vielfältige kulturelle Angebote möglich. Im neuen E-Werk sei genug Platz für Ausstellungen, Aufführungen und Künstlerateliers. Wendel: "Es macht einen Riesenspaß, hier zu arbeiten."