Nicht öffentliches Drama: Wie die Stadtentwicklung in dieser Woche an allzu Menschlichem erstmal gescheitert ist.
Balingen - Bahnhof? Das Hin und Her zwischen Eigentümer Peter Seifert und der Stadt hängt vielen mittlerweile zum Hals raus. In dieser Woche hatte der Gemeinderat die Chance, das leidige Thema aufzulösen, aber diese wurde vertan. Eine Entscheidung zugunsten der Stadtentwicklung scheiterte, so scheint es, letztlich an persönlichen Animositäten, die sachlich daneben, menschlich aber durchaus nachzuvollziehen sind.
In gleich zwei nichtöffentlichen Sitzungen diskutierten die Balinger Stadträte am Dienstag und Mittwochabend darüber, wie mit dem Bahnhof weiter verfahren werden soll. Zum Inhalt der Debatten will und darf offiziell niemand etwas sagen, einige tun es doch, weil es ihnen ganz offensichtlich ein Bedürfnis ist, das Geschehene zu verarbeiten: Die Sitzungen seien "keine Sternstunde der Balinger Stadtpolitik gewesen", sagt einer; auf der Facebook-Seite der Grünen-Fraktion schrieb ein Gemeinderat nach der Sitzung am Dienstag: "Die ganze Welt ist ein Irrenhaus und im Balinger Gemeinderat die Zentrale."
Was war da los? Um das Drama zu verstehen, ist ein Rückblick notwendig auf die Umstände des Bahnhofsverkaufs und die seither geführten Diskussionen. Der Prolog ist schnell erzählt: Die Bahn schreibt den Balinger Bahnhof zum Verkauf aus, zwei Parteien bieten, Peter Seifert und die Stadt, Seifert erhält den Zuschlag, er ist froh, er triumphiert, er hat es geschafft, der Stadt eins auszuwischen. Böse Zungen sagen: 2007 wurde Seifert zwar nicht zum Oberbürgermeister gewählt, aber jetzt hat er doch einen Sieg über Helmut Reitemann geholt. Dann ist Weihnachten, aber besinnlich geht’s danach nicht weiter.
Im Gegenteil: Anfang Januar beginnen die Verhandlungen zwischen Seifert und der Stadt. Seifert bietet den Vorplatz zum Kauf an, die Stadt bringt eine Umwidmung des durch zahlreiche im Vertrag mit der Bahn festgehaltenen Rechte stark belasteten Areals zu einer öffentlichen Fläche ins Gespräch, im Gegenzug würde die Stadt die Verkehrssicherungspflicht, die Kosten für die Beleuchtung, den Räum- und Streudienst, die Reinigung und den Unterhalt (zusammen geschätzt 11 500 Euro pro Jahr) und die Umgestaltung (Kosten rund 400 000 Euro) bezahlen.
Ein faires Angebot? Seifert meint: nein. Er hat Geld für das Ensemble bezahlt, also will er Geld sehen für den Vorplatz (109 000 Euro). Die Stadt wiederum meint, dass der Vorplatz durch die eingetragenen Rechte ohnehin schon als öffentliche Fläche anzusehen sei, sie ja die Sanierung bezahle – und diese wiederum stark dem Gebäude zugute komme, dessen Eigentümer Seifert bleiben will.
Seifert sieht sich nur allzu gerne als Kämpfer
Das Kuriose, das Besondere an alldem: Obwohl es sich um Grundstücksverhandlungen handelt, die gemeinhin diskret behandelt werden, läuft diese Auseinandersetzung in aller Öffentlichkeit ab. Seifert hat eine eigene Internetpräsenz eingerichtet, auf der er transparent über seine Pläne mit dem Bahnhofsgebäude und informiert, quasi täglich – und zwischen den Zeilen gerne darauf hinweist, dass die Stadtverwaltung ihm Knüppel in den Weg legen und mit der Umwidmung des Vorplatzes abzocken wolle. Auch dass er die Verhandlungen mit der Stadt abbricht, verkündet er der Stadt nicht im persönlichen Gespräch, sondern im Internet und per Pressemitteilung. "Dass eine Grundstücksverhandlung derart öffentlich geführt wird, das habe ich noch nie erlebt", sagt ein Gemeinderat. "Das war sicher kontraproduktiv."
Die Seite www.bahnhof-balingen.de gewinnt viele Fans (auch im Bauamt der Stadt Balingen), in Zuschriften wird Seifert als Held, Visionär und Kämpfer gegen die Stadt und den Gemeinderat gefeiert. Er selbst sieht sich gerne in dieser Rolle.
Diese Vorgeschichte ist wichtig, sie hilft, das Gefühl nachzuvollziehen, das viele Gemeinderäte haben: von Seifert vorgeführt zu werden. Am Dienstagabend in der nichtöffentlichen Sitzung brüten sie zum Thema Bahnhof und Vorplatz. Es geht um die Variante, die die Stadt weiter verfolgen soll: Kauf des Vorplatzes? Vorkaufsrecht? Umwidmung? Die Materie ist äußerst komplex, die Sitzung dauert vier Stunden.
Wie man so hört, hat Baudezernent Ernst Steidle "alles Menschenmögliche" versucht, die Bedeutung des Vorplatzes für die weitere Entwicklung Balingens zu verdeutlichen, und habe dafür geworben, am Bahnhof gemeinsam mit Seifert, dessen Pläne für das Gebäude er hervorragend finde, etwas auf die Beine zu stellen – ausgerechnet jener Steidle also, den Seifert als seinen Hauptfeind im Rathaus ansieht. Ein Stadtrat meint dazu: "In Wirklichkeit ist Ernst Steidle Peter Seiferts größter Freund im Rathaus, Seifert hat das nur noch nicht kapiert." Steidle gehe es um die Sache, um die Stadtentwicklung; da stelle er alle persönlichen Zwistigkeiten hintenan.
Heraus kommt nach einer munteren Debatte die wahrscheinlich blödstmögliche Entscheidung: Seifert den Vorplatz zu lassen, das Gelände aus dem Sanierungsgebiet Innenstadt herauszulösen (für das dasselbe Gremium wenige Stunden zuvor das Bebauungsplanverfahren eingeleitet hatte). Kurz und in letzter Konsequenz: die Pläne aufzugeben, das Bahnhofsareal zu einem attraktiven Stadteingang umzugestalten.
"Persönliche Animositäten haben in dieser Sitzung eine große Rolle gespielt", sagt einer, der dabei war. Über all dem Zoff mit Seifert hätten viele das eigentliche Ziel und das Wohl der Stadt aus den Augen verloren.
Oberbürgermeister Helmut Reitemann und Ernst Steidle sind angesichts dieser Entscheidung, gelinde gesagt, bestürzt. Am Mittwochvormittag informieren sie gemeinsam Peter Seifert. Auch der ist bestürzt, er will doch auch, dass sich am Bahnhof endlich etwas tut. Also erklärt Seifert, dass er zu einer Übertragung des Bahnhofsvorplatzes und der öffentlichen Widmung des Vorplatzes nun doch bereit sei.
Thema Widmung: Es gibt noch eine Chance
Das ist eine neue Sachlage, die es ermöglicht, über ein schon beschlossenes Thema erneut zu beraten – das tut der Gemeinderat dann auch prompt am Mittwochabend, erneut in nichtöffentlicher Sitzung. Aber eine Entscheidung fällt nicht, vielleicht, mutmaßt einer, weil sich das Gremium nicht getraut habe, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei komplett gegensätzliche Dinge zu beschließen.
Nun kommt die Frage, ob die Stadt die Widmung annehmen soll, wohl Ende Februar erneut auf den Ratstisch. Genug Zeit, sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen – auch wenn sie einem eigentlich schon zum Hals raushängt.