Rund um die Uhr rauscht der Verkehr am Wohnzimmer von Anneliese Schotten vorbei. Die Endingerin will sich von Lärm und Abgasen jedoch nicht vertreiben lassen, sondern hofft darauf, dass der Balinger Stadtteil eines Tages die langersehnte Ortsumgehung bekommt. Foto: Maier

Anneliese Schotten lebt seit 58 Jahren an der B 27. Endingerin hofft auf langersehnte Ortsumfahrung.

Balingen-Endingen - "Es ist eine richtige Katastrophe", sagt Anneliese Schotten über den Durchgangsverkehr. Seit 58 Jahren lebt sie in Endingen direkt an der Bundesstraße 27.Die ehemalige Wirtschaft "Rose", Schömberger Straße 46, ist Schottens Elternhaus. Dort wurde sie geboren, Tochter Tanja wuchs darin auf, nun wohnt auch Enkel Pascal in dem Gebäude.

Schotten lebt gerne in ihrem Heimatort: "Mir gefällt's in Endingen." Wenn nur der viele Verkehr nicht wäre. Die Ortsdurchfahrt wird inzwischen von fast 20 000 Fahrzeugen täglich benutzt, darunter bis zu 2500 Laster. Besonders laut wird es bei Regenwetter oder Schneematsch, wenn die Reifen über den Asphalt zischen.

Darunter leiden die Anwohner: "Der Lärm macht viele auf Dauer krank", sagt Schotten. "Sie kommen auch nach der Arbeit nie aus dem Stress raus." Lärm und Gestank wirkten sich im Lauf der Jahre negativ aus, zum Entspannen komme man nie. "Wenn ich im Schlafzimmer liege und das Fenster offen habe, hört es sich an, als ob der Laster direkt durchs Bett fährt."

Im Sommer kann man nicht mal lüften

Der Verlust an Lebensqualität ist gravierend: Im Sommer kann Schotten kaum einmal lüften, egal wie heiß es ist. Deshalb hat sie für die warmen Monate ein zweites, zum Hinterhof liegendes Zimmer als Schlafraum hergerichtet.

Wenn sie kocht, sei es lästig, nicht lüften zu können, und beim Essen werde das noch schlimmer. "Fünf Minuten das Fenster offen, dann vergeht Ihnen der Appetit."

Waren in den 1980er-Jahren Bundeswehrpanzer das größte Problem, hat spätestens seit Einführung der Lkw-Maut der Schwerverkehr durch Endingen massiv zugenommen. Dessen Erschütterungen verursachen Schäden am und im Gebäude – Risse im Putz oder in den Fließen sind für Anneliese Schotten trauriger Alltag. Schallschutzfenster hin oder her – richtig gemütlich wird es im Wohnzimmer nie: Wenn ein Lkw vorbeidonnert, klirren schon mal die Gläser im Schrank.

Und dann ist da noch die Angst davor, dass eines Tages ein Laster in die gute Stube rast. Das vordere Hauseck, direkt gegenüber der Abzweigung nach Roßwangen, wird nur durch einen schmalen Gehweg von der Straße getrennt. Darauf sind zwar Kunststoffpoller montiert, aber teilweise fahren Laster trotzdem übers Trottoir und nieten diese einfach um.

Schottens siebenjähriger Enkel Pascal fürchtet sich davor, alleine zum Bäcker zu gehen. Das sind nur wenige Schritte, aber der Fahrtwind der Laster fühlt sich an, als ob er Kinder mitreißen könne.

Inzwischen wohnen fast nur noch Ältere an der Ortsdurchfahrt. Die Häuser zeigen, dass die Besitzer mit dem Beseitigen von Schmutz und Schäden durch Abgase und Vibrationen kaum nachkommen. Der Farbunterschied zwischen Straßenfront und Rückseite ist auf einen Blick zu erkennen.

Anderswo sehe ein Haus so nach 40 Jahren aus, sagt Schotten. Sie selbst hat mittlerweile genug davon, alle paar Jahre tief in den Geldbeutel greifen zu müssen: "Ich werde an der Fassade nichts mehr machen, solange die B 27 vorbeiführt."

Eigentlich ist die Endingerin gerne im Freien. Doch ihre Terrasse benutzt sie seit einigen Jahren nicht mehr, die Möbel könne sie eigentlich weggeben. Ihre Familie sitzt im Sommer im Garten hinter der Garage auf einem für teures Geld gepflasterten Platz.

Vertreiben lassen will sich die ehemalige Ortschaftsrätin allerdings nicht: "Ich möchte nirgendwo anders hin." Ruhiger wohnen würde sie schon gerne – und freut sich auf ihren Sommerurlaub auf einem Bauernhof, ganz ohne Autos. "Aber ich fliehe nicht vor dem Verkehrslärm", bleibt sie standhaft.

Die vor drei Monaten eingerichtete, nächtliche Tempo-30-Regelung bringe schon etwas. Die umfassende Lösung des "Endinger Problems" wäre jedoch die seit vielen Jahren geforderte Ortsumgehung. "Dann könnte man hier endlich so wohnen wie viele Menschen andernorts auch."

Leider seien noch viel zu wenige Einwohner – etwas mehr als 300 – in der Bürgerinitiative Mitglied, die seit vergangenem Jahr verstärkt auf dieses Ziel hin arbeitet. Die Bundesstraße trenne den Ort nicht nur in zwei Hälften, sondern auch in Betroffene und nicht Betroffene.