Dieses Brotmesser ist laut einer Gutachterin mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tatwaffe. Foto: Scheidel

Sozialprognose nicht positiv: Schlimme Kindheit prägt Täter und Opfer. Alkohol schnell zu gutem Freund geworden.

Baiersbronn/Kreis Rottweil - Der Totschlag-Prozess vor dem Rottweiler Landgericht zum tödlichen Messerstich in einer Baiersbronner Wohnung am 28. Mai 2015 bietet auch besten Anschauungsunterricht dafür, dass das Elternhaus sehr prägend für die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen ist.

Sowohl der Angeklagte, dem von der Mutter die Identität des Vaters verschwiegen wurde, als auch das Opfer, das als Kind adoptiert wurde, waren in ihren Familien ungeliebt hin- und hergestoßen worden. Beide wurden so früh von vielen emotionalen Tiefschlägen geprägt.

Ohne viel Rückhalt war man ins Leben geworfen worden, Alkohol wurde schnell zu einem vermeintlich guten Freund. Von dem Teufelszeug in Stimmung versetzt, gingen Strukturen für ein geregeltes Leben immer mehr verloren.

Welch’ dominierende Rolle die Komponente Alkohol im Leben der beiden Männer, die sich im Alter von 49 (das Opfer) und 46 Jahren (der mutmaßliche Täter) kennenlernten, spielte (der Angeklagte ist aufgrund seines Gefängnisaufenthalts zwangsweise trockengestellt), lässt sich aus den Lebensgeschichten mit vielen kleinkriminellen Handlungen ablesen.

Mit neun Jahren hängt er regelmäßig an der Flasche

Dazu lässt am Mittwoch eine Sozialbetreuerin, die den Getöteten noch bis kurze Zeit vor seinem Tod für ein gesünderes und geordneteres Leben an die Hand zu nehmen versuchte, auch wissen, dass dieser mit sieben Jahren die erste Alkoholauffälligkeit gezeigt habe. Mit neun sei er sogar regelmäßig an der Flasche gehangen.

Vor allem der "Treibstoff" Alkohol scheint auch das turbulente Geschehen in der Baiersbronner Wohnung befördert zu haben. Dort gingen von Zeugen als zwielichtig beschriebene Besucher ein und aus. Nicht selten sei auch übernachtet worden. Der 49-Jährige, wegen einer Leberzirrhose schwerkranke Wohnungsinhaber geizte mit Bekenntnissen zu einem gesünderen Leben offenbar nicht, muss dann aber ganz vorne gestanden haben, wenn es ums Trinken bis zum Abwinken ging.

Aus einer solchen Gemengelage entwickelte sich am Tattag die Situation, in der ihn zwei Messerstiche in Brust und Bauch trafen, wobei letzterer wohl als Ursache für den nach etwa einer Stunde eingetretenen Tod anzusehen ist.

Als der andere sich schwankend nähert, sieht heute 47-Jähriger rot

Der heute 47-Jährige –damals seit einiger Zeit Wohnungsgenosse – sah angesichts des mit einem Messer und den Worten "Gib mir endlich ein Bier" schwankend auf ihn zugehenden Kumpels rot. Er holte aus der Küche ein Brotmesser und stach wütend zu, wie der mutmaßliche Täter selber sagt. Dabei gibt es Indizien, dass sein Gegenüber aufgrund hohen Alkoholkonsums wehrlos war.

Nach dem Abschluss der Zeugenvernehmung kam gestern der Expertise des psychiatrischen Gutachters Ralph Schulte besondere Bedeutung zu. Die Sozialprognose für den Angeklagten fällt deutlich negativ aus aufgrund einer schweren Persönlichkeitsstörung und der Alkoholproblematik. Der Gutachter gibt mit Hinweisen auf Erziehungsanstalten und die Abteilung Sozialtherapie für Aggressionstäter in der Justizanstalt Offenburg Empfehlungen zur Urteilsfindung, die die Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz von Karl-Heinz Münzer aufmerksam zur Kenntnis nimmt.

Der nächste Verhandlungstag ist der 1. April, an dem die Plädoyers gehalten werden, möglicherweise auch bereits das Urteil gesprochen wird.