Einmarsch beim Captain’s Dinner auf der MS Europa Foto: Hapag-Lloyd Foto: Schwarzwälder-Bote

Stefan Wilke ist Küchenchef des Kreuzfahrtschiffs MS Europa / Die Wurzeln liegen in Klosterreichenbach

Von Helga Michel

Baiersbronn. Heimat fängt für Stefan Wilke mit dem Ortsschild von Klosterreichenbach an. Zu Hause fühlt er sich auch auf der MS Europa. Wilke ist Küchenchef auf dem Kreuzfahrtschiff, das zu den luxuriösesten der Welt zählt. Und so fühlt er sich überall ein bisschen zu Hause.  

Sein ganz privates Zuhause auf der MS Europa misst 13 Quadratmeter, mit Bad und – ein Stück Luxus für Crewmitglieder an Bord – einem eigenen Bullauge.  Als der heute 30-jährige Wilke vor vier Jahren Küchenchef auf der MS Europa wurde, war er der jüngste Küchenchef, der auf einem der gehobenen Kreuzfahrtschiffe zu finden war. "Ich hab’ mir selbst mehr Angst eingeredet als notwendig", sagt er heute rückblickend.

Auf einmal Chef sein von einer 47-köpfigen Brigade – als ihm das angeboten worden sei, nachdem er zwei Jahre lang stellvertretender Küchenchef an Bord war, sei er fast vom Stuhl gefallen. Er habe sich zuerst Bedenkzeit erbeten, das Thema mit Familie und Freunden diskutiert und dann ganz vorsichtig gesagt: "Ich versuch’s." Alle im Team hätten ihn dabei unterstützt, schnell in seine neue Aufgabe hineinzuwachsen. Zuerst habe er alles laufen lassen und nach und nach seine eigene Linie hineingebracht. "Bei der Crew habe ich schnell große Unterstützung erhalten", erzählt Wilke.

Bei den Gästen sei das schwieriger gewesen, da habe er sich am Anfang schon so manches Mal die Frage stellen lassen müssen, wie so ein junger Mann den bisherigen Küchenchef ersetzen will. "Warten Sie ab und lassen die Teller für sich sprechen", erwiderte Wilke und überließ die eigentliche Antwort den Gerichten. Heute sei sein Alter kein Thema mehr.

Eines ist Wilke über die Jahre hinweg geblieben: der große Respekt vor seiner  Aufgabe. Geht es um diesen Respekt, dann ist Wilke schnell bei den Produkten, spricht von den Unmengen an Lebensmitteln, die tagtäglich auf der MS Europa verarbeitet werden. Und immer wieder entdeckt er auch heute noch irgendwo auf der Welt Produkte, die er noch nie gesehen hat. Jeden Tag werden er und sein Team aufs Neue geprüft, jeden Tag feilen sie daran, noch etwas zu verbessern.  

186 Mitarbeiter gehören auf der MS Europa zum Hotelbereich. Insgesamt sind 290 Menschen auf dem Schiff beschäftigt. Damit ist der Hotelbereich das größte Department an Bord. Klar, gebe es in der Küche eine Hierarchie, auch auf einem Schiff. Doch: "Man wächst hier mehr und enger zusammen, sitzt im wahrsten Sinne des Wortes im selben Boot, Team heißt hier wirklich Team."

Selbst kochen ist für Wilke inzwischen eher die Ausnahme. 70 Prozent seiner Zeit investiert er in Büro, für organisatorische Aufgaben, in Prüfen, Überwachen, etwa 30 Prozent in Trainings für andere Köche, um sie auf seine Küche zu schulen. Das Kochen in aller Herren Länder ist nämlich kompliziert. Da muss der Küchenchef sich mit jeder Menge Vorschriften zur Hygiene auskennen, und die sind je nach Land ganz verschieden. Ein Beispiel? In den USA muss die Eisschaufel für die Eiswürfel aus Plastik sein und in der Maschine hängen, in England muss sie aus Metall sein und an einer Kette befestigt außerhalb der Maschine in Chlorwasser liegen. Zuweilen ärgere einen so was schon, stellt Wilke fest, doch: "Man lernt, damit umzugehen." Das Lernen ist dabei wörtlich zu nehmen. Regelmäßig besucht er Kurse verschiedener Länder in Sachen Hygienevorschriften. 

Aber auch die Mengen, die Tage, die auf hoher See verbracht werden, machen punktgenaue Planung notwendig. Für jedes Produkt gibt es einen berechneten Pro-Kopf-Verbrauch, das Lager wird per Computer geführt. Die Bestellungen macht der Chefeinkäufer in Absprache mit Wilke. Pro Gast wird zum Beispiel mit 3,75 Eiern täglich gerechnet. In 14 Tagen werden auf der MS Europa 12 000 Eier verbraucht.  Da werden auch schon mal in Singapur 1,5 Tonnen Rinderfilet geladen.

Eigentlich wollte Wilke gar nicht zur See fahren wie es sein Vater schon getan hatte. Stefan Wilke wollte sich nur selbst ein Bild davon machen, ein paar Monate schnuppern. "Irgendwie hat mich dann das Seevirus gepackt." Dass er Koch werden will, das stand für Wilke dagegen schon früh fest. Anderen eine Freude zu machen, sie in seinen Bann zu ziehen, Bewährtes beizubehalten und gleichzeitig immer wieder auch etwas Neues ausprobieren zu können, das mache die Faszination seines Berufs aus. 

Klar, dass es ihm zuweilen fehlt, selbst zu kochen. Doch für die Entwicklung neuer Produkte bleibe schon die Zeit. Manchmal fließt da ein Produkt ein, das der Küchenchef bei einem Landgang entdeckt hat, wobei Voraussetzung immer die Hygienerichtlinien sind. Macht Wilke einen Einkaufslandgang, kann sich der ein oder andere Händler die Hände reiben. "In der Türkei habe ich mal einen ganzen Stand gekauft, fast ausschließlich Artischocken." Den dazugehörigen Wagen hat er als Dekoration gleich miterstanden. Probiert Wilke etwas Neues, dann kocht er es zuerst selbst, im kleinen Kreis, mit dem Maître, dem Sommelier, dem Hoteldirektor.  

"Solange es Spaß und Freude macht, werde ich weiter zur See fahren", stellt Wilke fest. Doch Ziel für die fernere Zukunft sei weiterhin, irgendwann an Land zu arbeiten. Wo? Da legt sich Wilke nicht fest. Wenn es soweit sei, dann müsse es wieder eine Liebe sein, so wie zwischen ihm und der MS Europa.

Die MS Europa ist auf der Welt daheim, aber die Welt auch auf ihr. In Wilkes Crew, die für vier Restaurants kocht, finden sich Menschen aus Vietnam, von den Philippinen, aus der Türkei, aus China, aus Italien. Da gibt es für so manches Gericht natürlich den Fachmann. "Spätzle schaben muss der Chef", lacht Wilke. Was die Spätzle angeht, hat der 30-Jährige ein Ritual: Immer wenn er an Bord geht, hat er ein neues Spätzlebrett dabei, ein Stück Heimat eben. Ende August geht er wieder an Bord – mit einem neuen Spätzlebrett.

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