Diese Herrenalber Ansichtskarte aus dem Jahr 1936 mit einer handgemalten Tuschezeichnung trägt eine Botschaft in deutscher Schrift. Der Text lautet: "Kann man auch jemanden sooo lange warten lassen!!" Foto: Glaser Foto: Schwarzwälder Bote

Bildung: Deutsche Schrift ist ein Schlüssel zur Geschichte / Jürgen Rauser gibt kostenlose Kurse

Dass man heute in allen handgeschriebenen und gedruckten Texten lateinische Buchstaben verwendet, ist nicht selbstverständlich.

Kreis Calw/Bad Herrenalb. Bis 1941 gab es die deutsche Schrift. Die Handschrift wurde Kurrentschrift oder auch Sütterlinschrift genannt. Die Druckschrift hieß Frakturschrift. Diese deutsche Schrift war 600 Jahre lang im deutschen Sprachraum verbreitet.

Sie verschwand auf Befehl von Adolf Hitler. Er verunglimpfte sie als "Judenlettern" und verbot sie am 3. Januar 1941. Obwohl sich das Schimpfwort auf gedruckte Buchstaben bezog, die von jüdischen Verlegern mitgestaltet wurden, wurde die Handschrift gleich mit verboten.

In den Lehrplänen der Schulen verankerten die Nationalsozialisten das Schreiben in lateinischen Buchstaben. Gleiches geschah in Büchern und Zeitungen, auf Urkunden und Straßenschildern. Einer der wahren Gründe für die Umstellung war, dass Menschen in eroberten Gebieten die deutsche Handschrift nicht lesen konnten und folglich auch handschriftliche Befehle nicht verstanden. In deutschsprachigen Gebieten war die lateinische Schrift dagegen schon immer als Zweitschrift verankert.

Nach dem Krieg beließ man es bei der lateinischen Schrift. Das Kultusministerium sträubte sich hartnäckig, die deutsche Schrift selbst in bescheidenem Umfang wieder in die Lehrpläne aufzunehmen. Das hätte zu ihrem Überleben beigetragen. Einige ältere Lehrer vermittelten in Vertretungsstunden die deutsche Schrift an ihre Schüler, damit sie das Geschriebene ihrer Eltern und Großeltern lesen konnten. Zuletzt war die deutsche Schrift nur noch in Projektwochen ein Thema in Schulen.

Sieben Abende

So gibt es heute, nach 77 Jahren, fast niemanden mehr, der die deutsche Schreibschrift lehren und lesen kann. Damit sind Schriftstücke und Urkunden in Archiven fast ausschließlich von Fachleuten lesbar. Großmutters Worte in Briefen oder Rezeptbüchern sind nur noch Hieroglyphen. Viele Deutsche sind aber an ihrer Familien- oder Heimatgeschichte interessiert und würden gerne Ahnen- oder Geschichtsforschung betreiben. Ihnen fehlt dazu der Schlüssel. Sie können die deutsche Schrift nicht mehr entschlüsseln.

Archivar Jürgen Rauser (82), der frühere Kreisarchivar und Gründer des Kreisgeschichtsvereins Calw, gibt Kurse zum Lesen und Schreiben der deutschen Schrift. Der Lehrgang vermittelt an sieben Abenden von jeweils zwei Stunden Dauer die Fähigkeit alte Dokumente in Kurrentschrift zu lesen. Zum Unterrichtsmaterial gehören Briefe von Auswanderern und Soldaten, Rezepte, Gerichtsprotokolle, Eintragungen in Kirchenbüchern und anderes mehr.

Am Ende des Intensivkurses können die Teilnehmer die deutsche Schrift lesen und schreiben. Nach einer Prüfung bekommen sie ein Zertifikat. Bad Herrenalber wurden auch schon ausgezeichnet. Ein nächster Kurs beginnt nach den Sommerferien. Er ist kostenlos. Informieren und anmelden kann man sich bei Jürgen Rauser unter Telefon 07051/1 36 07.