Tagung über Konfessionslosigkeit sowie neue Formen von Spiritualität / Säkularisierung und Stilmix

Von Ralf Stieber

Bad Herrenalb. Konfessionslosigkeit bedeutet "nicht automatisch Atheismus und Abkehr von Religion". Dies unterstrich Oberkirchenrat Matthias Kreplin (Karlsruhe) auf der Tagung "Konfessionslosigkeit in unserer Gesellschaft", die von der Evangelischen Akademie in Bad Herrenalb veranstaltet wurde.Vielmehr schließe sie häufig auch "die Hinwendung zu alten und neuen Formen von Weltanschauung, Religion und Spiritualität ein". Viele dieser Formen nähmen Grundimpulse des Christentums und der Reformation auf und seien aus protestantischer Sicht nicht pauschal zu verurteilen. Die Phänomene der Konfessionslosigkeit nötigten die Kirchen, in der Konkurrenz der Religionen und Weltanschauungen "ihr Eigentliches deutlicher wahrnehmbar zu machen".

Über das "bunte Feld" der humanistisch-atheistischen Organisationen in Deutschland sprach der Theologe Andreas Fincke (Berlin). Mit rund 15 000 Mitgliedern in Deutschland seien diese Organisationen nur eine marginale Größe. Ihr Anliegen werde aber durch die starken Säkularisierungsprozesse in unserer Gesellschaft beflügelt. Deren Wucht werde von beiden Kirchen massiv unterschätzt. Zunehmend komme Gott als Option im Lebenshorizont vieler Menschen gar nicht mehr vor.

Spannend war die Diskussion über die Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Religion in Deutschland. Nils Opitz-Leifheit (Waiblingen), Sprecher der Laizistinnen und Laizisten in der SPD, die für eine strikte Trennung von Staat und Kirche eintreten, wies darauf hin, dass die Konfessionslosen mit einem Drittel der Bevölkerung im Land "in der Mitte der Gesellschaft angelangt" seien. Trotz dieser augenfälligen Veränderung seien die Privilegien der Kirchen die gleichen geblieben, so gebe es nach wie vor die sogenannten Staatskirchenleistungen. Der Jurist Jörg Winter (Karlsruhe) hielt dagegen, dass die vom Grundgesetz gebotene weltanschauliche Neutralität des Staates keine strikte Trennung von Staat und Kirche notwendig mache. Anders als im laizistischen Frankreich werde in Deutschland der Ausübung von Religion bewusst ein breiter Raum eingeräumt. Winter bezeichnete den Laizismus als "falsches Modell des 19. Jahrhunderts". Das Thema Trennung von Staat und Kirche trage nichts dazu bei, wie man eine zunehmend religiös plurale Gesellschaft organisieren wolle. Notwendig sei vielmehr der offene Dialog der Weltanschauungen.

Die Tagung schärfte die Wahrnehmung für andere Vorstellungen und Zugänge von Spiritualität. Über atheistische Spiritualität sprach der Philosoph Joachim Kahl (Marburg). Den Trend zu individuellen Lebensritualen jenseits kirchlicher Rituale zeigte die freie Theologin Martina Görke-Sauer (Wiesloch) auf. Akademiestudienleiter Gernot Meier (Karlsruhe) machte in seinem Beitrag "Social Media – die postmoderne Gemeinde?" auf neue Formen von Internetspiritualität aufmerksam. Neue Gemeinden im Internet basierten auf keiner homogenen Kirche, sondern bedienten sich eines Stilmixes. Im Sinn von Postmodernität würden die Formen von Zugehörigkeit, aber auch die Inhalte, jeweils neu von den Mitgliedern ausgehandelt.