Autor Johannes Schweikle hat einen neuen Roman herausgebracht. Foto: Thomas Müller

Autor Johannes Schweikle hat ein neues Werk auf den Markt gebracht. "Grobe Nähte" ist sein Titel und es möchte als "Roman einer deutschen Stadt" gelesen werden.

Freudenstadt/Tübingen - Schweikle ist gebürtiger Freudenstädter. Als arrivierter Autor und Journalist lebt er heute in Tübingen. Mit seinem Roman geht Johannes Schweikle der Frage nach, wie stark die Nähte im Gewebe einer süddeutschen Großstadt belastbar sind – vor allem unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts.

Was bleibt übrig vom Taumel der Willkommensbegeisterung ("Wir sind Weltmeister in Humanität!"), wenn die gestrandeten Menschen mit ihren Erwartungen an die Heimeligkeit des saturierten Bürgertums rühren? Unterschiedliche Ansätze im Umgang mit den Flüchtlingen führen zur Polarisierung, nicht nur unter der Bevölkerung, sondern auch innerhalb der Medienlandschaft.

Schweikles übergeordnetes Ziel ist es, eine Diskussion darüber anzustoßen, welche Wege aus dieser starren Gegensätzlichkeit führen können. Die Metropole, in der die Handlung des Romans spielt, ist München – nicht zufällig, denn der Autor kennt sich in der schicken Großstadt aus. Er hat dort studiert und auch an einer Journalistenschule unterrichtet.

Um drei Figuren kreist der Plot: Da ist der hochtalentierte Fußballprofi Victor Akbunike aus Nigeria, der über Belgien in den erlauchten Profi-Kader des Branchenführers Bavaria München aufgenommen worden ist. Der Immigrant hat sich als Torjäger und Modeltyp im sagenhaften Wohlstand eingerichtet, hat zwar noch seine Schwierigkeiten mit manchen bayrischen Gepflogenheiten, aber seine Anpassung im Vereinsinteresse geht schon mal so weit, dass er akzeptiert: "We go shopping for the Lederhosen-Shooting".

Kompetenz in Sachen Fußball und Musik

Aber Victor muss auch erfahren, dass der Erfolg seinen Preis hat: Schwäche wird nicht verziehen, tritt sie auf, geht’s ganz schnell ab in die demütigende Konditionsbolzerei. Auch auf dem Sektor Fußball ist Schweikle Experte, hat er doch für Magazine und Zeitungen Reportagen über Real Madrid und Bayernstar Joshua Kimmich geschrieben und die Kickerei in Nigeria selbst beobachtet.

Benedict Scholl ist Tubaspieler in der HipHop-Band "BrassXpress", die beispielsweise auch auf diversen Großveranstaltungen von sich reden macht. Unter der Aufsicht ehrgeiziger Musiklehrer an der Hochschule will er sein Spiel vervollkommnen.

Scholl lebt mit Freundin Anna-Lena und der Altenpflegerin Nina in einer WG, die nicht nur wegen des beständigen "Zickenkriegs" um die richtige Flüchtlingsintegration auf den Bruch zusteuert. Johannes Schweikle geht mit der musikalischen Fachterminologie geradezu verschwenderisch um als Ausdruck seiner Kompetenz. In jungen Jahren hat der Autor im Freudenstädter Posaunenchor der evangelischen Kirche die Trompete geblasen.

In ein weiteres Fachgebiet greift Schweikle mit seinem Roman hinein: in den Journalismus. Das ist sein Metier als Autor von Reportagen für Zeitungen und Hochglanzmagazine. Er weiß, wie Redaktionen ticken, welche Fußangeln verlegt und wie Eifersüchteleien ausgetragen werden. Sein stellvertretender Chefredakteur der "bedeutendsten bayerischen Zeitung", Korbinian Moser, lebt mit seiner Patchworkfamilie in einem begehrten Viertel. Seine Frau ist als Fotoreporterin beim selben Blatt, "einem der wichtigsten linksliberalen Meinungsführer der Republik", tätig.

Einen Höhepunkt journalistischen Anspruchs erlebt sie als Dokumentaristin der Flüchtlingsankunft am Hauptbahnhof. Moser sieht in der Flüchtlingsfrage "die Gelegenheit, endlich einer politischen Großdebatte seinen Stempel aufzudrücken". Ferner träumt er "von einer Verwandlung Deutschlands durch die Fremden". Wenn da bloß nicht die massiven sexuellen Belästigungen wären, deren sich in der Silvesternacht in Köln arabisch aussehende Männer an jungen Frauen schuldig gemacht haben.

Auch ein kleines Geschichtskompendium

Ernüchterung macht sich unter den Edelfedern in der Redaktion breit, als ihnen ein arrivierter Schriftsteller bei der monatlichen Blattkritik ordentlich die Leviten liest. Ihre Berichterstattung setze "ideologische Krusten" an.

Johannes Schweikles Roman lässt tiefe Einblicke in das Innere eines Kosmos zu, in dem das (Vernissagen-) Publikum "lässig seine Exklusivität zelebriert". Bereits in früheren Werken wie dem Bestseller "Westwegs" (2012) oder "Die abenteuerliche Fahrt des Herrn von Drais" (2017) und "Ausreißversuch" (2013) bestach Schweikle mit seinem pointierten, anschaulichen und unprätenziösen Erzählstil. Nicht zuletzt ist "Grobe Nähte" wegen seiner zahlreichen historischen Verweise auch ein kleines Geschichtskompendium.