Mit einer Fahrradwerkstatt fing alles an. Foto: Rinderknecht

Die Werkstatt und die Tankstelle sind verwaist, die Benzinpreistafel zeigt noch halb so hohe Zahlen an wie derzeit gelten: 92 Jahre lang bestand das Autohaus Rinderknecht als Familienbetrieb in Oberjettingen, unübersehbar mit Werkstatt und Tankstelle an der Ortsdurchfahrt an der Nagolder Straße.

Jettingen - Mitte des vergangenen Jahres hat die 83-jährige Eigentümerin Emilie Kussmaul den Familienbetrieb schweren Herzens geschlossen. Seit ihren Jugendjahren hat sie in der Werkstatt ihres Vaters Georg Rinderknecht, der sich zunächst als Radrennfahrer einen Namen gemacht hatte, mitgearbeitet.

Sie hat den Betrieb dann zusammen mit ihrem Mann Helmut Kussmaul geführt und zu einem stattlichen Autohaus aufgebaut. Sie ist dabei nicht nur als emsige Geschäftsfrau in Jettingen bekannt geworden, sie wurde nebenbei zur Institution im Ort: als Urschwäbin, als begeisterte Sängerin und als gesellige, heimatverbundene Dichterin, die ihre Mitarbeiter gern auch zu Geburtstagen und Verdiensten mit gereimtem Lob in der Tageszeitung bedachte.

Wehmut ist zu spüren, wenn sie nun sagt: "Das Autohaus war mein Leben." Es freut sie allerdings, dass einige ihrer früheren Mitarbeiter noch Kontakt zu ihr pflegen.

Vater begann mit Fahrradreparaturen

Mit 24 Jahren hatte Georg Rinderknecht 1929 im Keller des Elternhauses angefangen, Fahrräder zu reparieren, 1932 eröffnete er die einzige Tankstelle der Umgebung mit Fünf-Liter-Handbetrieb. Neben den Fahrrädern reparierte er bald auch Landmaschinen, Näh- und Waschmaschinen, dann Automobile und Motorräder. Georg Rinderknecht wurde im Zweiten Weltkrieg eingezogen, geriet in französische Kriegsgefangenschaft – seine Frau Emilie, die aus Neubulach stammte, und die acht Kinder mussten allein durchkommen. Tochter Emilie, nach der Mutter benannt, erinnert sich heute noch: Als am 16. April 1945 Bomben auf Oberjettingen fielen, "haben wir mit Gülle und Moscht bei uns gelöscht", Elternhaus mit Werkstatt blieb erhalten.

Der Vater kam drei Jahre später heim, seine Werkstatt war geplündert. Er startete neu, nahm den Betrieb mit viel Tüftlergeist wieder auf. Nach wenigen Jahren übernahm er zum Fahrradgeschäft eine DKW- und NSU-Motorradvertretung. 1951 wurde der Firmensitz erweitert, die Tankstelle mit zwei Zapfsäulen erneuert.

"Von 6 bis 22 Uhr hatten wir offen, alle Tage", erzählt Emilie Kussmaul lachend, "das ist unser Leben gewesen". Mit Karl Gauss kam 1963 der erste Lehrling in die Kfz-Werkstatt. Seniorchef Georg hatte in Tochter Emilie und ab 1961 auch mit deren Ehemann Helmut Kussmaul tatkräftige Nachfolger gefunden – zuvor hatte der Mötzinger das KfZ-Mechaniker-Handwerk gelernt und den Meister gemacht.

Der Werkstatt-Betrieb prägte dann den Alltag der Familie Kussmaul, zu der sich zwei Töchter und ein Sohn gesellt hatten: Emilie Kussmaul machte die Buchhaltung, hielt die Tankstelle auch an Wochenenden bis 22 Uhr offen, pflegte rührig Kontakt zu den Kunden. Ihr Mann Helmut war für Autoverkäufe und die Werkstatt zuständig.

1971 in Herrenberg eröffnet

Das Familienunternehmen florierte und so eröffnete es 1971 in Herrenberg einen Zweigbetrieb, der später um eine Ausstellungshalle erweitert wurde. Auch der Betrieb in Oberjettingen wurde 1992 um eine moderne Werkstatt erweitert, so dass ein modernes Dienstleistungszentrum rund ums Auto entstand, als Vertragswerkstätte und Händler für VW und Audi. Zehn Mitarbeiter zählte der Jettinger Stammbetrieb, mit bis zu 50 Mitarbeitern führte Sohn Jürgen Kussmaul die größere Herrenberger Niederlassung.

Anfang der 2000er-Jahre erwarben die Kussmauls ein Nachbargrundstück, sie schmiedeten noch Pläne für eine Werkstatt für Nutzfahrzeuge. Diese zerschlugen sich aber. So schied dann 2015 Sohn Jürgen aus dem Familienbetrieb aus, das Zweigunternehmen in Herrenberg ging an einen Konkurrenten über, der Mitarbeiter und 13 Auszubildende übernahm.

Der ererbte Stammbetrieb in Jettingen blieb Eigentum von Emilie Kussmaul, dort wurde es aber nach dem Tod von Helmut Kussmaul 2019 ruhiger. Obwohl längst im Rentenalter, blieb Emilie Kussmaul die Seele des Betriebs und führte ihn mit drei Mechanikern und zwei Büroangestellten weiter – bis 2021. Sie erinnert sich gern an ihre "Betriebsfamilie", an "treue Mitarbeitern" und "liebe Kunden". Zur Zukunft des Rinderknecht-Stammsitz gefragt, sagt sie, es gebe es erst einmal keine Pläne.