Das Narrentreiben trotz der Corona-Pandemie sorgte in den sozialen Netzwerken für wilde Diskussionen. (Symbolfoto) Foto: Tobias Hase/dpa

Nachdem Narren in Rottweil und Villingen-Schwenningen trotz Corona Fastnacht zelebriert haben, wurden sowohl Befürworter als auch Gegner der Aktionen im Netz ausfallend. Wüste Beschimpfungen und persönliche Angriffe sind in den sozialen Netzwerken keine Seltenheit. Gerade wenn es um Corona-Auflagen geht, sind sich die Lager der Unterstützer und der Kritiker spinnefeind. Doch wie gelingt die Rückkehr zu respektvollen Diskussionen?

Rottweil/Villingen-Schwenningen/Berlin - "Jeder muss bei sich selbst anfangen", sagt der evangelische Theologe Johann Hinrich Claussen. Die Nutzer sollten sich Zeit nehmen, durchatmen, eine Runde um den Block gehen, ehe sie kommentieren, empfiehlt er. 

Aktuelle Informationen zur Corona-Lage in unserem Newsblog

Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) hat sich viel mit dem Thema "Kommunikation im Netz" beschäftigt. Schon vor der Corona-Pandemie und auch vor dem Aufkommen sozialer Netzwerke hätten Menschen feindselige Diskussionen geführt - etwa bei Stammtischen. Im Internet hätten die Debatten durch die weite und schnelle Verbreitung jedoch eine ganz andere Dynamik entwickelt, erklärt Claussen. Im Netz habe man den realen Gesprächspartner nicht richtig vor sich, sondern stattdessen eine abstrakte "Empörungsgemeinschaft". Das und die eigene Anonymität verleite Kommentatoren dazu, Aggressionen freien Lauf zu lassen. 

Neben einer Entschleunigung beim Kommentieren rät der Theologe Usern, sich immer zu überlegen, was man mit einem Beitrag erreichen wolle: "Will ich die anderen öffentlichen beschämen, möchte ich sie öffentlich ausgrenzen oder möchte ich ihnen mitteilen, dass ich ihr Verhalten problematisch finde und deshalb hoffe, dass sie ihr Verhalten ändern?" Die Nutzer sollten sich außerdem stets fragen, ob sie das Geschriebene ihrem Gegenüber auch ins Gesicht sagen würden.

Elf Gebote für einen zivilisierteren Umgang im Netz

In einem Projekt namens #anstanddigital hat Claussen gemeinsam mit anderen Engagierten elf "Gebote" formuliert, die zu einem zivilisierteren Umgang im Netz verhelfen sollen. Zu diesen elf digitalen Tugenden zählen neben den bereits genannten Empfehlungen Dinge wie "Gesicht zeigen", "Widerspruch schätzen" und "Nicht richten". 

Die Regeln könne eigentlich jeder, der sich damit beschäftigt, nachvollziehen, ist der Theologe überzeugt. Oft brauche es aber die Erinnerung von außen, sich an die Umgangsformen zu halten. Und manchmal erfordere es sogar einen scharfen Konflikt, um zu erkennen, dass sich die Diskussionskultur in die falsche Richtung entwickelt.  

Dass die Kommentatoren bei Corona-Themen derzeit so emotional reagieren, führt der Kulturbeauftragte auf den zweien Lockdown zurück. Im März 2020 hätten die Menschen mit viel Angst aber auch mit Einfallsreichtum auf die Situation reagiert. Jetzt, fast ein Jahr später, seien die Menschen durch die Länge des Lockdowns zermürbt, in einer depressiven Stimmung und hätten in vielen Lebensbereichen mit einem Gefühl der Ohnmacht zu kämpfen.

Emotionale Stabilität ist gefragt 

Deshalb sei es eine ganz wichtige Aufgabe, dass sich jeder einzelne in dieser Krise emotional stabil halte. Helfen könne da etwa ein gleichmäßiger Tagesablauf, in dem man viele Pausen mache. Das allerwichtigste sei außerdem, den Kontakt mit anderen Menschen zu halten und für diese auch Interesse zu zeigen. Kontakte pflegen geht auch in der Pandemie, betont Claussen. Nur brauche es mehr Aufwand. "Man muss mehr aufeinander zugehen. Das geht gerade nicht mehr beiläufig", so der Theologe. Man könne sich ja auch mal mit einem Kollegen zu einem Spaziergang verabreden, macht er einen konkreten Vorschlag. 

Uwe Michael Glatz aus Rottweil gibt einen weiteren Tipp, um sich selbst in der Krise "emotional fit" zu halten: Hobbys suchen oder alte Hobbys wieder aufleben lassen. Glatz ist Experte für Persönlichkeitsentwicklung. Der Facharzt für Chirurgie hat zudem an einer Evangelischen Hochschule Religion und Psychotherapie studiert. Er selbst habe beispielsweise wieder damit begonnen, Klavier zu spielen. Statt einem Wortgefecht haue er dann eben mal in die Tasten, so Glatz. 

"Angst spaltet die Gesellschaft"

Der Rottweiler Arzt plädiert generell dafür, dass sich Menschen im Netz beim Kommentieren zurückhalten und sich an der ein oder anderen Stelle auch mal komplett raushalten. Gerade bei den Diskussionen um die Narren-Aktionen in Rottweil und Villingen-Schwenningen wäre dies angebracht gewesen, meint er. Natürlich dürfe jeder seine persönliche Meinung haben, betont Glatz. Aber: "Man ist viel zu schnell im Verurteilen anderer drin." Dabei sei es viel wichtiger, andere anzuhören, als nur die eigene Meinung zu produzieren. 

"Ich glaube, dass das Ganze sehr viel mit Angst zu tun hat. Angst spaltet die Gesellschaft und die Menschen. Die einen haben Angst vor einer Infektion, die anderen vor den Folgen der Maßnahmen", so Glatz. Das Entscheidende sei jedoch, dass man reflektiere, wo die eigene Position herrühre. Die Kommentatoren sollten sich ihre eigenen Emotionen bewusst machen und erkennen, dass sie aus Angst handelten. Ferner sei es "auch wichtig zu respektieren, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann". Und das sei - wie alles im Leben - ein Übungsprozess.