Für einen jungen Mann endet die Arbeit am Freitagmorgen auf der Großbaustelle Killesberg abrupt. Der Zoll verdächtigt ihn, sich illegal im Land aufzuhalten. Foto: Max Kovalenko

Zoll überprüft bundesweit viele Baustellen – Ermittler werden auch auf dem Stuttgarter Killesberg fündig

Stuttgart - Durch Schwarzarbeit in großem Stil entstehen in Deutschland jedes Jahr Schäden in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro. Bei einer Schwerpunktaktion hat der Zoll am Freitag auch eine Großbaustelle in Stuttgart unter die Lupe genommen.

7 Uhr morgens. Im Sitzungssaal des Stuttgarter Hauptzollamts in der Hackstraße sind fast 50 Zöllner und Zöllnerinnen schon hellwach. Jeder hat die Unterlagen für den Tag vor sich. Auf einem Luftbild erklärt Einsatzleiter Jürgen Feld die Mission. „Wir werden abschnittsweise vorgehen, Gebäude für Gebäude räumen“, sagt er. Ziel des morgendlichen Überraschungsbesuchs soll die Großbaustelle auf dem Gelände der früheren Messe auf dem Killesberg sein. 200 Arbeiter werden dort zu dieser Zeit erwartet. Damit keiner türmt, wird die Einsatzhundertschaft der Polizei das Gelände vor der Kontrolle komplett abriegeln. „Beim Betreten der Baustelle die Helme nicht vergessen“, sagt Feld noch.

Fast 6600 Mitarbeiter zählen inzwischen zur Finanzkontrolle Schwarzarbeit

Die Aktion gehört zu einer bundesweiten Schwerpunktüberprüfung im Baugewerbe, die am Wochenende abgeschlossen worden ist. Diverse Großbaustellen in zahlreichen Bundesländern haben in den vergangenen Tagen Besuch vom Zoll bekommen. Wie viele genau es gewesen sind und wie die Gesamtbilanz aussieht, kann man beim zuständigen Bundesfinanzministerium wohl erst in zwei bis drei Wochen sagen.

Die Bekämpfung der Schwarzarbeit ist eine der Hauptaufgaben des Zolls. Fast 6600 Mitarbeiter zählen inzwischen zur Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Allein in Stuttgart sind es 140. Sie werden besonders im Baugewerbe, in der Reinigungsbranche, bei Sicherheitsfirmen und in der Gastronomie fündig. Dabei stoßen sie auf unterschiedlichste Delikte, die die Sozialkassen viel Geld kosten und den Wettbewerb verzerren. Scheinselbstständigkeit ist ebenso an der Tagesordnung wie die illegale Beschäftigung von Ausländern, Verstöße gegen den Mindestlohn, Steuerhinterziehung oder Leistungsbetrug von Leuten, die staatliche Hilfen beziehen und gleichzeitig unangemeldet arbeiten. Die Strafen sind besonders für die Arbeitgeber hoch, weil sie von den Machenschaften am meisten profitieren.

„Oft müssen wir erst einmal die Firmengeflechte entwirren. Mancher Arbeiter weiß selbst nicht, wo er beschäftigt ist“, sagt Thomas Böhme vom Stuttgarter Hauptzollamt. 52 verschiedene Unternehmen sind allein an diesem Tag auf der Baustelle auf dem Killesberg vertreten. Dort geht alles blitzschnell. Die Polizei riegelt das Gelände ab, die Zöllner, die vorher ein Stück entfernt geparkt haben, fahren aufs Areal. Räumtrupps gehen über die Baustelle und sammeln die Arbeiter ein. Binnen Minuten wimmelt es nur so vor Uniformen, Autofahrer halten an und schauen neugierig in Richtung der Zäune. „Das sieht martialisch aus, aber wir brauchen viele Leute – auch, damit es schnell geht“, so Böhme.

Auf dem Killesberg versucht ein junger Mann, sich davonzustehlen

Die Aktionen lohnen sich. Fast immer werden Verstöße entdeckt, auch auf prominenten Baustellen. „Nur durch konsequente Kontrollen werden die Ehrlichen geschützt“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jüngst bei der Vorstellung der Zollbilanz für 2011. Bundesweit wurden im vergangenen Jahr Schäden durch Schwarzarbeit in Höhe von 660 Millionen Euro aufgedeckt. 168.000 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, 49 Millionen Euro an Geldstrafen mussten bezahlt werden. In Stuttgart allein sind fast 12.000 Menschen überprüft worden.

Wer erwischt wird, weiß manchmal noch nicht einmal genau, was er falsch gemacht hat, weil er die Bestimmungen gar nicht kennt. Andere wissen das sehr wohl. Auf dem Killesberg versucht ein junger Mann, sich davonzustehlen. Doch er entkommt den Zöllnern nicht, die jetzt mit jedem angetroffenen Arbeiter Erfassungsbögen ausfüllen. Wer keine Papiere dabei hat, wird zu seiner Unterkunft begleitet, um sie zu holen. Auf dem Bau ist es Pflicht, sich ausweisen zu können. Die meisten nehmen die Kontrolle gelassen, manche scherzen. Der Kranführer winkt von oben herab und brüllt Witze nach unten. Der junge Mann dagegen wird abgeführt. Der Afrikaner spricht lediglich ein paar Brocken Französisch, verfügt aber über eine italienische Arbeitsgenehmigung. Das macht ihn verdächtig.

Schon die verrücktesten Geschichten erlebt

„Wenn etwa einer mit Flipflops über die Baustelle läuft, ist das ein Zeichen dafür, dass mit dem was nicht stimmt“, erzählt Böhme. Die Stuttgarter Zöllner haben schon die verrücktesten Geschichten erlebt. Vor kurzem legte ein Kroate einen dänischen Pass und Führerschein vor – beides gefälscht. Sein echter Pass steckte im Schuh. Vor drei Jahren standen vor Weihnachten mehrere Rumänen vor dem Hauptzollamt. Sie waren kurz zuvor überprüft worden und erinnerten sich an die Beamten, als ihr Auftraggeber plötzlich verschwand – mit ihrem Lohn. Die Zöllner sammelten Geld, damit die Männer sich etwas zu essen kaufen konnten. „Gerade ausländische Arbeitnehmer werden oft abgezockt“, weiß Böhme.

Nach wenigen Stunden ist die Aktion auf dem Killesberg vorbei. Zwei der Überprüften haben sich illegal in Deutschland aufgehalten, bei dreien besteht der dringende Verdacht der Scheinselbstständigkeit. Bei 14 Empfängern von Sozialleistungen muss noch überprüft werden, ob die Beschäftigung angemeldet worden ist. „Wir wollen mit den Kontrollen nicht nur Straftaten aufdecken, sondern auch den Druck auf die betroffenen Branchen erhöhen“, sagt Böhme. Das hat in den vergangenen Tagen geklappt.