Nachwuchsrapperin Eunique und Rapper Denyo von den Beginnern fahren durch Hamburg und sprechen über Musik. Foto: NDR/Benedict Meyer zu Strohe

Eine ARD-Dokuserie blickt zurück auf vierzig Jahre Deutschrap – und bietet gleichzeitig einen Exkurs durch politische und gesellschaftliche Veränderungen im Land.

Es sind die neunziger Jahre. Deutschland ist wiedervereinigt, und Helmut Kohl träumt von blühenden Landschaften. Gleichzeitig brodelt es im Land. Rechte Straßengewalt ist allgegenwärtig. Neonazis verüben Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte. Was schließlich 1992 in Rostock-Lichtenhagen passiert, gilt bis heute als Symbol für das hässliche Gesicht Deutschlands nach der Wiedervereinigung. „Das war ein historischer Moment, der Hip-Hop politisiert hat“, sagt Denyo. Der Hamburger Rapper ist in den Neunzigern mit den Absoluten Beginnern bekannt geworden. Und er ist einer von vielen Protagonistinnen und Protagonisten, die sich in der ARD-Dokuserie „Hip-Hop made in Germany“ mit der Frage beschäftigen, wie sich Hip-Hop in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Das Konzept: Raplegenden, aber auch Newcomerinnen sitzen in einem alten Mercedes, fahren durch ihre Stadt und unterhalten sich über Musik. Immer wieder steigen Überraschungsgäste zu. Jede der vier Folgen widmet sich dabei einem Jahrzehnt.

 

Heidelberg wird zur wichtigsten Keimzelle des deutschen Hip-Hops

Denyo fährt gemeinsam mit der Nachwuchsrapperin Eunique durch die Hansestadt. Sie sprechen über Hip-Hop damals und heute, Eunique aus der Sicht von einer, die die Anfänge höchstens aus Erzählungen kennt. Und Denyo „aus dem Blickwinkel eines Opas“, wie er selbst sagt. Die beiden sprechen über eigene Rassismus-Erfahrungen und darüber, wie Hip-Hop seit jeher den Zeitgeist widerspiegelt und aktuelle Debatten aufgreift – sei es Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus.

Wie sehr, zeigt schon die erste Folge der Doku. Nach den Aufständen in Rostock-Lichtenhagen veröffentlicht die Heidelberger Gruppe Advanced Chemistry ihre Debütsingle „Fremd im eigenen Land“. Toni-L, ein Teil von Advanced Chemistry, führt in der ersten Folge gemeinsam mit Martin Stieber (der Gruppe Stieber Twins) durch Heidelberg, den Ort, an dem in den Achtzigern alles begann. Durch die Präsenz des amerikanischen Militärs ist der Musikstil aus New York in die Stadt am Neckar geschwappt. Heidelberg wurde so zu einer der wichtigsten Keimzellen des deutschen Hip-Hops. Heute ist der Heidelberger Hip-Hop Immaterielles Unesco-Kulturerbe.

Aus dem Rand- wird ein Massenphänomen

In den Neunzigern tritt mit den Fantastischen Vier auch Stuttgart auf den Plan. Während aus Hamburg oder Heidelberg Hochpolitisches in den Raptexten transportiert wird, geht’s bei den Fantas vor allem um eines: gute Laune. In der Doku wird deutlich, auf wie wenig Gegenliebe die vier erfolgreichen Schwaben in der eigenen Szene gestoßen sind: „Ich fand die richtig scheiße“, sagt etwa der Berliner Rapper Finch. Ihre Identifikation mit den Fantastischen Vier? „Null“, sagt Lady Bitch Ray. „Eher minus zehn.“

Die Band aus dem Süden ist die erste, die mit ihrem Rap kommerziellen Erfolg feiern kann. Für die Rapszene aber waren sie nicht hart und nicht echt genug. „Bei uns ging es nicht um soziale Randgruppen und auch nicht um Diskriminierung, sondern um Party. We are from the Mittelstand“, so Smudo. Kurz: Die Fantastischen Vier wurden dafür verurteilt, dass sie Platten verkauft haben. Wenig später kommt aus Hamburg die Band Fettes Brot hinzu, die ebenfalls schnell richtig erfolgreich werden. Und auch die Beginner ziehen mit ihrem Album „Bambule“ auf ein Majorlabel. Hip-Hop wird damit spätestens in den 2000ern kommerzieller. Aus dem Rand- ist ein Massenphänomen geworden. Und auch wenn später Rapper wie Haftbefehl, Sido oder Bushido für Kontroversen sorgen – dem Erfolg tut das keinen Abbruch, im Gegenteil.

Dass es aber auch immer wieder Grenzen gab, zeigt Rapperin Lady Bitch Ray. Sie habe für ihre Kunst wenig Wertschätzung bekommen. Deutschrap sei patriarchalisch. Was sie gemacht habe – als Frau über Sex zu rappen –, sei keine Musik, sondern Pornografie, so lautete der Vorwurf. Männliche Rapper hätten sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen müssen. Doch sie habe weitergemacht und damit „Türen eingetreten, die ich heute nicht mehr eintreten muss“, sagt Eunique.

Die große Stärke der Serie ist, dass sie nicht nur Akteure des Musikgenres zu Wort kommen lässt. Journalisten wie Christian Bangel von der „Zeit“, aber auch Michel Friedman und Gregor Gysi ordnen die Entwicklungen im Hip-Hop in die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge ein. Immer wieder werden Bilder eingeblendet, etwa vom Mauerfall, von den in sich zusammenfallenden Türmen des World Trade Centers oder Schlagzeilen und Aufnahmen rund um die Rütli-Schule in Neukölln. Dazu laufen Rapsongs, die sich damit auseinandersetzen. So wird aus der Doku nicht nur ein Exkurs durch ein Musikgenre, sondern auch durch die bundesdeutsche Geschichte und darüber hinaus. Das macht sie nicht nur für Fans des Genres sehenswert.

Eine Doku als Roadtrip

Hip-Hop
Der Musikstil entstand in den siebziger Jahren in der Bronx in New York. Als Erfinder gilt DJ Kool Herc, der dort die sogenannten Block Partys veranstaltet hat. Zur Hip-Hop-Kultur gehören neben Rap und Djing auch Graffiti und Breakdance. Mit dem Hit „Rapper’s Delight“ von der Sugarhill Gang schwappte Hip-Hop auch in andere Teile der Welt und wurde zur weltweiten Jugendkultur.

Doku
„Hip-Hop made in Germany“ ist ab Dienstag, 23. 1., in der ARD-Mediathek zu sehen. Jeder der vier Teile beleuchtet jeweils ein Jahrzehnt und führt durch eine für den deutschen Hip-Hop wichtige Stadt. Die Serie ist außerdem im NDR zu sehen: Folge eins am Freitag, 26. 1., Folge zwei am Freitag, 2. 2., Folge drei und vier am Freitag, 9. 2., Start ist jeweils um 1 Uhr.