Solche 47-seitigen Flugblätter wurden 1939 von Fliegern über Niedereschach abgeworfen. Die Familie Heimburger hielt sich nicht an die Abgabepflicht, und so landete dieses geschichtsträchtige Exemplar nun im Niedereschacher Gemeindearchiv. Foto: Bantle

Das Gemeindearchiv ist um aufschlussreiche Dokumente reicher. Alfons Heimburger übergab nun Unterlagen aus der Zeit der Nazi-Herrschaft.

Niedereschach - Der Niedereschacher Alfons Heimburger feierte dieser Tage seinen 95. Geburtstag. 1927 in Niedereschach geboren hat er als Schüler und junger Mann den Zweiten Weltkrieg und die Zeit des sogenannten Dritten Reiches erlebt.

Nun übergab er Joachim Sturm, der sich um das Gemeindearchiv in Niedereschach kümmert, mehrere Unterlagen zur Ortsgeschichte. Die Dokumente sind unter der vorläufigen Signatur "Gemeindearchiv Niedereschach, Bestand Niedereschach 3, Abt. 03 Sammlungen, 01. Alfons Heimburger" zu finden. Die genaue Verzeichnung und Titelaufnahme und gegebenenfalls eine Kommentierung werden zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

Tiefe Einblicke

"Wir danken herzlich für diese Bereicherung der Ortsgeschichte der Kriegs- und Nachkriegszeit und des Gemeindearchivs. Wir würden uns freuen, wenn auch weitere Stücke aus Ihrer Sammlung den Weg in unser Archiv fänden", so Bürgermeister Martin Ragg und Joachim Sturm im Einklang. Sturm hat sich schon zu seiner Zeit als Kreisarchivar der damaligen Beschäftigung von Zwangsarbeitern im heutigen Kreisgebiet mit besonderem Engagement gewidmet. Vor diesem Hintergrund haben ihn die tiefen Einblicke und Begebenheiten, die Heimburger, auf eigene Erfahrung gestützt, nun zur Archivierung übergeben hat, besonders interessiert.

Brisantes Flugblatt

So übergab Heimburger dem Archivar ein geklammertes 47-seitiges Flugblatt-Heftchen mit dem Titel "Herr Hitler, Ihre Zeit ist um", das er im Herbst 1939 gefunden hat, und lieferte hierzu gleich die Hintergrundgeschichte. Demnach wurden im Herbst 1939 die Schüler in Niedereschach, zu denen damals auch Heimburger gehörte, von ihrem Lehrer darauf aufmerksam gemacht, dass "feindliche Flieger" Flugblätter abgeworfen hätten. Die Schüler wurden verpflichtet, solche zu suchen und in der Schule abzugeben. Auch Heimburger suchte und wurde fündig. Sein Vater, Markus Heimburger, gebot ihm damals Stillschweigen und behielt das Flugblatt. Wäre es herausgekommen, hätte dies für den Vater übel ausgehen können.

Mehl aus der Schrotmühle

Die Eltern Heimburgers betrieben damals eine kleine Landwirtschaft, bestehend aus zwei Kühen und einem Ochsen; täglich mussten sie Milch abliefern. Auch das Halten von Schweinen war streng reglementiert. Man durfte nur ein Schwein pro Jahr schlachten. Es wurde aber auch "schwarz" geschlachtet, erinnert sich Heimburger.

Mehl war rationiert, Weizen musste man abliefern. Die Familie Heimburger hat damals versucht, mit der Schrotmühle Mehl herzustellen. Durch mehrmaliges "Durchlassen" gab es letztlich, wenn auch etwas gröber, tatsächlich brauchbares Mehl.

Grab trotz Verbots geschmückt

Auf dem Niedereschacher Friedhof wurde während des Krieges eine junge Zwangsarbeiterin beerdigt. Es durfte aber keinerlei Schmuck wie Kreuz oder Blumen auf dem Grab sein. Heimburgers Vater hat damals in einer "Nacht- und Nebelaktion" ein selbst gefertigtes Kreuz in einem Sack versteckt zum Friedhof gebracht und auf diesem Grab aufgestellt. Auch mit dieser Aktion hat Markus Heimburger in der damaligen Zeit viel riskiert.

Hitler-Bild unterm Klodeckel

Wie in den meisten Haushalten damals gab es auch bei der Familie Heimburger kein WC, sondern ein sogenanntes Plumpsklo. Die Sitzöffnung war durch einen Deckel verschlossen. Markus Heimburger klebte damals auf die Unterseite dieses Deckels ein aus der Zeitung herausgeschnittenes "Führerbild", das man in geschlossenem Zustand ja nicht sehen konnte. Wäre das damals herausgekommen, hätte Heimburger wohl um sein Leben fürchten müssen.

Hörkontrolle am Fenster

Streng und bei Strafe verboten war es seinerzeit, Auslandssender zu hören. Markus Heimburger aber wollte die Wahrheit erfahren. Er und seine Familie hörten deshalb regelmäßig den Schweizer Sender Beromünster und den deutschsprachigen BBC London.

Die Hitler-Partei hatte damals ihre Ortsgruppenleiter beauftragt, abends zur Nachrichtenzeit Hörkontrollen am Fenster zu machen. Und so kam es, dass mitten in den Nachrichten der Niedereschacher Ortsgruppenleiter in der Stube stand und sich aufregte, weil Familie Heimburger "Feindsender" hörte. "Wenn ich Dich nicht so gut kennen würde, würde ich Dich jetzt dahin bringen lassen, wo Du hingehörst", echauffierte sich der Mann damals den Erinnerungen Alfons Heimburgers zufolge. Er mutmaßt, dass es vielleicht noch ein kleiner Rest Respekt vor dem Alter seines Vaters war, der den Ortsgruppenleiter davon abhielt, den Vorgang zu melden.

Der damalige Ortsgruppenleiter wurde zum Ende des Krieges verhaftet. Er starb in einem Internierungslager in Lahr.