Seit 30 Jahren betreibt Andrea Wolfert „Mermaiding“. Foto: Wolfert

Einmal Prinzessin sein - oder doch lieber Meerjungfrau? Für Andrea Wolfert beides kein Problem, denn die Eventkünstlerin schlüpft in ihrem Job andauernd in verschiedene Rollen. Wir haben mit ihr gesprochen.

Über 40 Figuren verkörpert die gebürtige Balingerin, in ihrem Schrank hängen etwa doppelt so viele Kostüme. „Ich besitze mehr Kleider und Kostüme für meine Figuren, als ich Klamotten für mich selbst habe,“ erzählt Wolfert lachend. An der Kleiderstange im Kostümzimmer findet man Kleider von Anna und Elsa aus „Frozen“, Arielle, Merida, von Belle aus „Die Schöne und das Biest“, und so einigen anderen. Aber auch für einen Pirat, eine Fee oder gar ein Einhorn sind Outfits vorhanden. Im Schrank daneben: Zubehör und Bastelmaterial soweit das Auge reicht. Rund 20 Meerjungfrauenflossen befinden sich im nächsten Raum, in ganz unterschiedlichen Farben und Größen.

Seit sechs Jahren betreibt Andrea Wolfert ihr Kleingewerbe und ist damit voll ausgelastet. Kindergeburtstage, Firmenfeiern, Hochzeiten, Sommerfeste - auf vielen verschiedenen Veranstaltungen ist die Verwandlungskünstlerin unterwegs. Unter anderem schminkt sie dort die Kinder und macht Spiele mit ihnen, lässt sich immer wieder etwas Neues einfallen. Nebenher modelt sie bei Meerjungfrauenshootings und bietet verschiedene Workshops und Mottopartys an.

Oft werde sie belächelt und sogar gefragt, was sie denn hauptberuflich mache. „Die Leute denken wirklich, ich sitze zu Hause rum, lese gemütlich ein Buch und warte den ganzen Tag auf nette Anrufe, um mich ab und zu schick anzuziehen, zu schminken und Kinder zu bespaßen. Aber das stimmt absolut nicht.“ Denn die Veranstaltungen selbst seien eigentlich nur ein kleiner Teil des Ganzen. „Planung, Einkauf und Reinigung nehmen viel Zeit in Anspruch - und vor dem eigentlichen Event arbeite ich ja auch schon. Ich stehe schließlich nicht als Prinzessin auf,“ erklärt Wolfert. Ihr Terminkalender? Voll.

Die Idee für das Gewerbe entstand in einem Wartezimmer

Die Idee, ihr Gewerbe „Prinzessin A.G.“ zu gründen, kam spontan. „Ich war 16 Jahre lang Fußpflegerin. Dann bin ich im Winter auf dem Eis ausgerutscht, habe mich am Arm verletzt und war berufsunfähig“, erzählt Andrea Wolfert. Zu der Zeit habe sie nicht mal einen Teelöffel ordentlich halten können und mehrere Therapien machen müssen. Als es ihr dann irgendwann wieder besser ging, habe sie im Wartezimmer beim Arzt sei sie dann auf eine Anzeige in einem Heftchen aufmerksam geworden, welche sich um Kinderschminken drehte.“ Und auf eBay Kleinanzeigen wurden mir Elsa-Kleider vorgeschlagen. Irgendwie dachte ich mir dann „Warum nicht?“ Also bin ich zum Rathaus gegangen, wo ich auch total lieb und viel beraten wurde, und habe mein Kleingewerbe vorläufig angemeldet.“

Anfangs habe sie noch gar kein Geld für ihre Verkleidungen genommen, sondern sich nur ausprobieren wollen. An den letztendlich ausschlaggebenden Tag erinnert sie sich noch gut. „Ich war als Fee auf dem Kindergeburtstag des Kindes meiner Freundin, das war sozusagen mein Geschenk an die beiden. Und dann kam eine Mutter auf mich zu und fragte, wie viel meine Arbeit denn kosten würde. Da meinte meine Freundin plötzlich: „Auf die Stunde 100 Euro.“ Und damit war mein Gewerbe offiziell gegründet.“

Einfach war das Künstlerleben und der Weg zur Prinzessin nie

Anfangs sei alles noch etwas katastrophal gewesen, schließlich habe sie sich alles selbst beibringen müssen. „Meine Schminke sah so schlimm aus“, erzählt sie. Aber aufgegeben habe die dreifache Mutter nie. „Ich habe Singen geübt, Choreographien gelernt, mir Spiele und Basteleien überlegt. Und nach und nach kamen auch immer mehr Figuren in mein Sortiment.“ Angefangen habe sie mit der Eiskönigin Elsa. Dabei berücksichtige sie auch Kundenwünsche. Ihr neuestes Kostüm, welches aktuell noch hinter der Tür hängt und umgenäht werden muss, sei aufgrund gehäufter Anfragen eingezogen.

Meerjungfrau Mohini wird immer beliebter

Die beliebtesten Kostüme seien aber nach wie vor die Eiskönigin, das Einhorn, und bei den Jungs der Pirat - und natürlich die Meerjungfrau, die bei Wolferts Unternehmen besonders viel an Popularität gewonnen hat. Mermaiding, eine Schwimmsportart mit Meerjungfrauenflosse, betreibt sie bereits privat seit 30 Jahren, weshalb sie auch Sicherheitscoachings in ihrem Pool oder bei schlechtem Wetter Indoor anbietet. „Aber ich bin keine Schwimmlehrerin“, betont die 40-Jährige. Dies werde gerne verwechselt. Sie nehme nur Coaching-Anfragen von Leuten an, die bereits mit Flosse schwimmen können, oder von jenen, die das wirklich lernen wollen. Bei ihren Coachings gehe es um Sicherheit, also darum, richtig zu atmen und im Notfall im Wasser schnell aus der Flosse raus zu kommen. „Notausstieg nennt sich das. Denn wenn man das nicht kann und niemand in der Nähe ist, der den Notfall sieht, ertrinkt man. Und zwar gnadenlos.“

„Meerjungfrauenflossen sind keine Spielzeuge“

Der Grund für ihr Coachingangebot sei das Unwissen und die Ignoranz vieler Menschen. „Ich finde es immer noch erstaunlich, dass Meerjungfrauenflossen oft im Einzelhandel, aber kaum in Sportläden erhältlich sind. Das sind Sportgeräte und keine Spielzeuge,“ erklärt die einstige ehrenamtliche Einsatzsanitäterin. Wasser sei immer noch lebensgefährlich, und vor allem Kinder würden das schnell mal unterschätzen. Immer wieder komme es vor, dass Eltern ihren Kindern solche Flossen kaufen und dann nicht richtig aufpassen würden. „Das Schwimmen mit Flosse muss man lernen. Das sind ganz andere Bewegungsabläufe als die, die man beim Seepferdchen vorzeigt.“ Nur weil das Kind dieses Abzeichen habe, bedeute das nicht, dass es automatisch mit Flosse schwimmen könne. „Denn nur weil man mit einem Fahrrad rumdüsen kann, bedeutet es ja auch nicht, dass man weiß, wie man richtig Motorrad fährt. Auch dafür muss man extra in die Fahrschule gehen.“ Zumal falsches Mermaiding auch zu ernsthaften Rückenproblemen führen könne, wie Wolfert erklärt. „Ich würde mir wünschen, dass Eltern sich dessen mehr bewusst werden.“

Kaum einer will ihren Job machen

Mit ihrer Arbeit gehe neben der vielen Verantwortung für die Kinder auch viel Training einher. „Ich trainiere regelmäßig, um fit zu bleiben. Schwimmen, Lauf- und Muskeltraining und ein bisschen Yoga.“ Auch Weiterbildungen sind in ihrem Privatprogramm enthalten. „Aber mir macht das Spaß und ich arbeite gerne mit Kindern. Neben viel Geduld und dem gekonnten Umgang mit Menschen ist das natürlich eine der Grundvoraussetzungen für diesen Job“, klärt Wolfert auf. „Ich hatte schon ein paar Praktikanten, die alle gesagt haben, dass sie diese Arbeit nicht machen möchten, weil sie ihnen zu anstrengend ist. Irgendwie wird das viel unterschätzt, nur weil es kein Ausbildungsberuf ist.“

„Ich bin keine Märchenprinzessin, sondern immer noch ein Mensch.“

Generell habe ihre Arbeit auch eine dunkle Kehrseite. „Meine Kunden sind wie eine Wundertüte - man weiß nie, was man bekommt.“ Sie habe schon viele Situationen erlebt, in denen sie gemerkt habe, wie man auf sie herunter schaue, verspotte und schlecht behandele. Auch mit sexueller Behandlung habe sie zu kämpfen. „Kunst wird noch immer nicht wertgeschätzt und von mir erwartet man häufig die absolute Perfektion. Eine richtige Märchenprinzessin eben. Aber ich bin eben auch nur ein Mensch und muss mal auf die Toilette oder etwas trinken.“ Teilweise sei das schon nicht in Ordnung.Auch um ihr Geld sei sie des Öfteren betrogen worden, weshalb sie keine größeren Firmen mehr bediene. „Ich kämpfe viel mit Vorurteilen und Respektlosigkeit, die in letzter Zeit auch häufig von den Kindern selbst kommt.“ Vor nicht allzu langer Zeit sei sie von einem Kind verletzt worden. „Da gibt es manchmal schon Tage, wo man abends nach Hause kommt und sich denkt „Puuh.“ Und dann zweifelt man etwas. Aber dann gibt es auch wieder die schönen Events, die Spaß machen.“ Dann komme sie zufrieden und mit einem Lächeln nach Hause. „Es ist mein Traumberuf, auch wenn man sich manchmal durchbeißen muss.“ Mittlerweile habe sie die Freiheit, Anfragen abzulehnen, wenn schon das Telefonat sehr unfreundlich verläuft. „Das war in Pandemiezeiten nicht so, da war ich auf jede Möglichkeit angewiesen. Aber jetzt muss ich mir schlechte Behandlung nicht mehr bieten lassen.“

Aber am Ende des Tages macht Wolfert die ganze Arbeit vor allem deswegen: „Um Fantasieträume von Kindern und Erwachsenen wahr werden zu lassen.“