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AfD: Verkehrsexperte Dirk Spaniel fordert offene Diskussion über gesellschaftliche Konsequenzen der E-Mobilität

Nahezu volles Haus im großen Saal des "Trollinger" in Althengstett. Auf Einladung des AfD-Kreisverbands Calw-Freudenstadt spricht der AfD-Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel aus Stuttgart über die Zukunft der Mobilität. Und Spaniel hat dazu eine besondere Expertise.

Althengstett. Der 46-Jährige ist im zivilen Leben verantwortlicher Entwicklungsingenieur bei der Daimler AG, seine Doktorarbeit schrieb er dort zum Thema "Brennstoffzellen". In seiner neuen Funktion als Bundestagsabgeordneter ist er verkehrspolitischer Sprecher seiner Partei und gehört daher zum Parlaments-Ausschuss für "Verkehr und digitale Infrastruktur" – und versteht seit den ersten Sitzungen dort die Welt nicht mehr.

"Das wird richtig knackig für die Zulieferer"

Warum: Keiner will (offen) mit ihm über eine aktuelle EU-Verordnung zur Senkung der Kohlendioxidemissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen sprechen. Die besondere Brisanz aus Spaniels Sicht: Greift die neue Verordnung wie geplant ab dem Jahr 2020 (!), könnte dies mit allen Konsequenzen das faktische "Aus" für den Verbrennungsmotor in seiner bisherigen Form bedeuten. Und nicht nur das: Der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor als Schlüsseltechnologie der (deutschen) Automobilbranche würde Massenentlassungen vor allem in der automobilen Zulieferindustrie bedeuten. Spaniels Mahnung: "Das wird richtig knackig für die Zulieferer", gerade im Südwesten.

Aber was den Ingenieur Spaniel vor allem auf die Palme bringt: "Es redet keiner offen darüber", das Thema werde von den verantwortlichen Stellen etwa auf Regierungsebene totgeschwiegen, obwohl alle um die Konsequenzen wüssten. Von Seiten seiner Kollegen aus den Entwicklungsabteilungen der Automobilbranche höre er unisono den Satz, "so schlimm werde es nicht werden". Aber es stehe nun mal so im (EU-)Gesetz. Und Spaniel breitet in seinem Vortrag eine ganze Reihe von Studien renommierter Beratungsunternehmen von Roland Berger bis KPMG aus, die alle belegen: "Der Verbrennungsmotor ist platt!" – nicht nur der Diesel, auch der Benziner, der die künftigen Abgasgrenzwerte ebenfalls nicht mehr "bei normalen Fahrzeuggrößen" erreichen werde.

Zwar werde es für Hersteller die Möglichkeit geben, über Strafzahlungen (an den EU-Haushalt) Überschreitungen der Grenzwerte auszugleichen. Aber die würden pro Fahrzeug rund 4000 Euro betragen, rechnet Spaniel vor. Kaum darstellbar. Einzige Möglichkeit, die neuen Grenzwerte einzuhalten, böten allein Elektro-Antriebe, die ja auch der erklärte politische Wille (nicht nur) der Regierungsparteien seien.

"Das ist wirklich irre: Niemand will mit mir darüber reden"

Aber auch da sieht Spaniel, ja promovierter Experte für alternative Antriebe, einen Pferdefuß für den Otto-Normal-Autofahrer: Reichweiten mit E-Fahrzeugen, wie sie heute mit "Verbrennern" möglich sind, würden auf absehbare Zeit aus technologischen Gründen nur Premium-Kunden vorbehalten sein, die sich etwa einen Tesla Model-S leisten könnten. Für normale Familien-Budgets bedeute die Elektro-Mobilität "faktisch das Ende des Individualverkehrs", weil sich niemand die Kosten der notwendigen Batterietechnik werde leisten können.

Bei seinen Zuhörern (und auch offen erklärten Fans) in Althengstett lief Spaniel mit diesen Thesen offene Türen ein. Wobei Spaniel – selbst, wie er erklärt, zeitweise Tesla-Fahrer – der Elektromobilität große Potenziale zuspricht. Aber er fordert eine offene, gesellschaftsweite Diskussion darüber, wie der Übergang in den Automobil-Technologien gerade mit Blick auf die Arbeitsplätze der hiesigen Zulieferindustrie "harmonischer" gestaltet werden könnte. Der Weg, über (wissenschaftlich derzeit aus Spaniels Sicht noch sehr fragwürdig ermittelte) Grenzwerte die E-Mobilität den Menschen "aufzuzwingen", und damit für eine "drastische Spreizung" der individuellen Mobilität zwischen Arm und Reich zu sorgen, sei definitiv falsch.

Aber, so MdB Spaniel schon fast verzweifelt, "das ist wirklich irre – niemand will mit mir darüber reden"; jedenfalls nicht öffentlich. Im Gegenteil, ernte er trotz seiner "rationalen, öffentlich nachvollziehbaren Argumente" vom politischen Gegner meist nur "offenen Hass" für seine Mahnungen. "Ich versteh’s nicht; ich versteh das wirklich nicht. Man könnte an der Situation verzweifeln." Wobei auch Spaniel natürlich weiß, dass hier (vor allem auch) die extremen politischen Positionen innerhalb seiner Partei (zu anderen Themen) einer neutralen Wahrnehmung seiner Argumente im Wege stehen. Aber, so Spaniel wörtlich mit selbstironischen Zungenschlag: "Wir sind nicht alles Nazis und Hetzer."

Zugegeben: Die AfD als aktuelle Newcomer-Partei ist nicht unumstritten. Und über viele ihrer Positionen kann und muss man ordentlich streiten, um eine Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft zu unterbinden. Aber wenn ein Entwicklungs-Ingenieur eines bedeutenden Automobilherstellers als gewählter AfD-Mandatsträger aus seinem Nähkästchen plaudert und sauber nachvollziehbare Mobilitäts-Szenarien entwirft auf Basis aktueller Gesetzesvorhaben, täte es auch dem politischen Gegner gut, sich die daraus ergebenen Konsequenzen anzuhören und zu diskutieren. Denn die E-Mobilität wird den Automarkt drastisch verändern. E-Autos brauchen zum Beispiel keine Abgastechnik von Boysen, im Kreis Calw immerhin größter Arbeitgeber. Wie wird die Gesellschaft das kompensieren? Dirk Spaniel bittet da alle Berufenen zum Gespräch. Man darf fragen: Warum er erst?