Eine Mini-Rente ist auch für viele Senioren im Kreis Freudenstadt ein Problem. Foto: © Svittlana– stock.adobe.com

Auch im Landkreis Freudenstadt sind Senioren von Altersarmut betroffen. Ihnen steht eine finanzielle Unterstützung zu, doch die meisten nehmen diese nicht in Anspruch. Aus Scham oder Unwissenheit?

Kreis Freudenstadt - Genaue Zahlen, wie viele Menschen im Landkreis betroffen sind, konnte Tobias Ditlevsen in der Sitzung des Verwaltungs- und Sozialausschusses nicht nennen. Ditlevsen ist Geschäftsführer der Diakonischen Bezirksstelle Freudenstadt. Deutschlandweit hätten 2021 etwa 1,1 Millionen Senioren um finanzielle Unterstützung gebeten, in Baden-Württemberg seien es 104 000 gewesen. Im Kreis Freudenstadt seien Ende 2020 etwa 1000 gezählt worden. Es werde vermutet, so Ditlevsen, dass 60 Prozent jener, denen eine Grundsicherung zustehe, diese gar nicht beantragen. Im Landkreis Freudenstadt sei somit von rund 2500 Berechtigten auszugehen.

Betroffen von Altersarmut seien vorwiegend Frauen – mit geringem Lohn, nach Scheidung oder Trennung oder wegen einer beruflichen Auszeit zur Kindererziehung. Sie erhielten, wie auch viele Männer, die im Niedriglohnsektor arbeiten, eine geringe Rente, von der sie nicht leben könnten. "Jede fünfte Frau über 50 in Baden-Württemberg ist armutsgefährdet", so Ditlevsen. Er ist sich sicher: Wer seinen Anspruch auf finanzielle Hilfe nicht anmeldet, wird in den kommenden Jahren weiter in die Armutsfalle tappen. Denn Wohnungen für eine geringe Miete seien meist schlecht isoliert, die Nebenkosten deshalb hoch.

Energiepreise tun weh

"Die Anfragen nach Unterstützung bei Heiz- und Stromkosten nehmen stark zu", hat Ditlevsen festgestellt. Doch trotz steigender Energiekosten traue sich die Hälfte der Berechtigten noch immer nicht, die Grundsicherung in Anspruch zu nehmen. Deren Angst vor Stigmatisierung und Ausgrenzung aus der Gesellschaft könne man nur gemeinsam abbauen, glaubt er.

Kreisrätin Bärbel-Altendorf Jehle (Frauen in den Kreistag) wollte wissen, inwiefern sich der Landkreis unterstützend einbringen könne und fragte, wie es mit Wohnungen für sozial Schwache im Landkreis aussehe. Die Kommunen sollten, schlug Ditlevsen vor, verstärkt auf diese Menschen zugehen. Jeder einzelne Kreisbewohner könne dazu einen Beitrag leisten, indem er Hilfsbedürftige in seinem Umfeld anspreche und auf Hilfsangebote aufmerksam mache. Auch Öffentlichkeitsarbeit sei enorm wichtig, um die Menschen über die Angebote aufzuklären.

Im Kreis geeignete Wohnungen zu finden sei schwierig. "Es gibt ein paar Angebote für viele Bewerber. Viele davon haben hohe Nebenkosten." Neue Wohnungen gebe es kaum, und wenn, dann in Orten, in denen man gut leben könne, sofern man ein Auto habe. "Das fällt für diese Menschen weg."

Ob die Zahl der von Altersarmut betroffenen Menschen steigen wird, wollte Kreisrat Gerhard Gaiser (SPD) wissen. Ditlevsen sprach von steigenden Zahlen deutschlandweit. Man könne davon ausgehen, dass alle über 50-Jährigen, die derzeit Arbeitslosengeld beziehen, auf die Altersarmut zusteuern. Dazu kämen noch die im Niedriglohnsektor Beschäftigten. Man müsse aber abwarten, wie die Grundrente aussehen werde und wie sie sich auf die Zahlen auswirke.

Günstiger Wohnraum fehlt

Wie es mit der Altersvorsorge bei Minijobbern aussieht, wollte Kreisrat Wolf Hoffmann (Bündnis 90/Die Grünen) wissen. "Menschen mit einem Minijob haben nicht die Möglichkeit, Vorsorge zu treffen. Sie sind froh, wenn sie ihren Lebensunterhalt verdienen", sagte Ditlevsen. Deshalb müsse dafür gesorgt werden, dass "die Lohnsummen stimmen".

Falsche Scham

"Wir müssen in die Wertediskussion einsteigen", forderte Elisabeth Gebele (Grüne). In vielen Berufen werde wertvolle Arbeit nicht angemessen honoriert. "Vom Jubel können die Pflegekräfte nachher nicht leben", so die Kreisrätin, die aber auch diejenigen Frauen in den Fokus gerückt haben wolle, die Kinder erziehen und gleichzeitig die kranken Eltern pflegen müssten. An Kreisräte und Verwaltung stellte sie die Frage: "Was machen wir falsch, wenn 60 Prozent keine Anträge stellen?" Landrat Klaus Michael Rückert hält es für wichtig, diesen Menschen Mut zu machen. Keiner, der in Not sei und Hilfe in Anspruch nehme, müsse sich schämen.