xxBarbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, vor der ­alten Esslinger Synagoge, in der ein neues jüdisches Gemeindezentrum entstanden ist. Foto: Peter-Michael Petsch

In alter Esslinger Synagoge können parallel orthodoxe und liberale Gottesdienste gefeiert werden.

Esslingen - Das in der alten Esslinger Synagoge eröffnete neue Gemeindezentrum soll Ruhe in die seit langem zerstrittene jüdische Gemeinde bringen. Das hofft Barbara Traub, die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW).

Mit der Einrichtung eines neuen Gemeindezentrums hat jetzt die ständig wachsende jüdische Gemeinde neben der Synagoge in der Stuttgarter Stadtmitte eine zweite Anlaufstelle in der Region Stuttgart. „Das ist ein großer Moment für die IRGW und ganz besonders für unsere Esslinger Mitglieder“, sagt die Vorstandssprecherin Barbara Traub.

Mit der Unterzeichnung des Erbbauvertrags zwischen der IRGW und der Stadt Esslingen Anfang des Jahres für das Gebäude Im Heppächer 3 und der offiziellen Eröffnung des neuen Gemeindezentrums Mitte März haben sich jetzt die Voraussetzungen für eine Versöhnung der zerstrittenen jüdischen Gemeinde deutlich verbessert. Für die IRGW würde das einen richtungweisenden Schritt bedeuten.

Der Streit innerhalb der Gemeinde reicht bis ins Jahr 1991. Seit damals hat sich die Mitgliederzahl der Gemeinde durch Zuwanderung russischer Juden aus der ehemaligen Sowjetunion von 740 auf rund 3300 Personen mehr als vervierfacht. Etwa 300 Gemeindemitglieder leben heute in Esslingen.

Gemeinde spaltete sich

„Die IRGW war damals auf so einen Mitgliederzuwachs und die Veränderung der Gemeindestruktur nicht vorbereitet“, sagt Barbara Traub. Rasch brachen Konflikte zwischen den Neuankömmlingen und den Alteingesessenen aus, vor allem wegen der Frage, was es bedeutet, Jude zu sein.

In der Folge spaltete sich die Gemeinde. Eine Gruppe scharte sich um die heutige IRGW-Vorstandssprecherin Barbara Traub, die schon von 2002 bis 2006 an der Gemeindespitze stand. Sprecher der zweiten Partei wurde der Unternehmer Martin Widerkehr.

Beide Gruppen lieferten sich einen erbitterten und zum Teil öffentlich ausgetragenen Machtkampf. Dieser gipfelte im Februar 2005 in der einstimmigen Entlassung des beim damaligen Vorstand ungeliebten Landesrabbiners Netanel Wurmser. Offiziell konnte die IRGW dessen Gehalt nicht mehr zahlen, inoffiziell wurde ihm wegen seiner streng orthodoxen Glaubensausrichtung gekündigt. Wurmser ging vor das Arbeitsgericht und später vor das jüdische Rabbinergericht in Frankfurt. Doch zur endgültigen Vertragsauflösung kam es nicht.

Esslingen als Treffpunkt für liberalere Gemeindemitglieder

Bei den Vorstandswahlen 2006 unterlag Traub ihrem Gegner Widerkehr, der nach seinem Wahlsieg den Rabbiner Wurmser wieder einstellte. 2009 schlug das Pendel zurück, als Barbara Traub wieder zur IRGW-Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde. Der Streit zwischen den beiden Lagern ist immer noch nicht beigelegt. Zuletzt hat Widerkehr immer wieder die jüdische Identität des heutigen Vorstandsmitglieds Susanne Jakubowski öffentlich infrage gestellt.

Seit langem stören sich viele liberal eingestellte Mitglieder der IRGW an der ihrer Meinung nach zu orthodoxen Glaubensausrichtung der Gemeinde. Nach ihrer Vorstellung soll sich Esslingen zu einem Zentrum und Treffpunkt für die liberaleren Gemeindemitglieder entwickeln.

„Die IRGW ist eine Einheitsgemeinde, die ein Dach für alle Glaubensrichtungen bieten will. Allerdings war sie das in der Region Stuttgart aus unterschiedlichen Gründen bislang nur auf dem Papier“, sagt Barbara Traub. „In Esslingen werden wir aber erstmals liberale und orthodoxe Gottesdienste feiern.“ Deshalb hoffe man, die Spaltung der IRGW langfristig zu überwinden.

Fachwerkbau seit dem 15. Jahrhundert als Zunfthaus der Schneider genutzt

Das neue Gemeindezentrum befindet sich in einem denkmalgeschützten Gebäude, das zu den bedeutendsten Baudenkmälern Esslingens gehört. Der Fachwerkbau wurde in der ehemaligen Reichsstadt seit dem 15. Jahrhundert als Zunfthaus der Schneider genutzt, ehe die jüdische Gemeinde das Gebäude 1819 kaufte und als Synagoge nutzte. In der Reichspogromnacht haben die Nazis das Gebetshaus in der Altstadt geschändet. Nur wegen der dichten Bebauung ringsum wurde die Synagoge nicht angesteckt.

1940 wurde die jüdische Gemeinde zum Verkauf gezwungen. Nach dem Krieg forderte die Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) die alte Synagoge für sich ein und verkaufte das Gebäude 1949 an die Stadt Esslingen. Die JRSO verpflichtete die Stadt damals aber, die Immobilie einer sich später bildenden jüdischen Gemeinde als Räumlichkeiten zu überlassen. „Das war ein rein formaler Akt. Wohl niemand hatte damals und in den folgenden Jahrzehnten geglaubt, dass von diesem Passus jemals Gebrauch gemacht werden würde“, sagt Traub.

Zuletzt beherbergte das Gebäude Im Heppächer 3 eine Kunstgalerie. Nach deren Kündigung ergriff die Stadt die Initiative und schlug der jüdischen Gemeinde die Räume vor. „Für die Stadt kam keine bessere Nutzung in Betracht“, sagt Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger. Nun, nachdem alle Formalien geregelt sind, werde ein neues Kapitel der seit 800 Jahren dauernden Geschichte der Juden in der Stadt geschrieben.

Bedeutender Markstein in der Nachkriegsgeschichte Esslingens

Für Zieger ist der Wiedereinzug der jüdischen Gemeinde ein bedeutender Markstein in der Nachkriegsgeschichte Esslingens: „Wir wünschen uns sehr, dass sich jüdisches Leben in Esslingen wieder dauerhaft etablieren und unsere Stadt bereichern wird“, sagt der OB. „Dass unsere Mitbürger wieder in dem Gebäude der alten Synagoge beheimatet sein werden, erfüllt mich mit ganz besonderer Freude, ist wirklich ein Glücksfall und nach den schrecklichen Verbrechen der NS-Zeit von höchster Symbolkraft.“

Möglich wurde das neue Religionszentrum durch den 2010 in Kraft getretenen Staatsvertrag mit dem Land Baden-Württemberg, wodurch die jüdische Gemeinde finanzielle Planungssicherheit erhielt. „Sonst hätten wir neben dem Neubau einer Gemeinde in Ulm diesen Schritt zum Aufbau der Esslinger Infrastruktur wohl nicht gehen können“, sagt Traub und verweist auf jährliche Kosten von knapp 40.000 Euro.

Regelmäßige Gottesdienste und Veranstaltungen geplant

Der Erbbauvertrag sieht vor, dass das Grundstück weiter im Eigentum der Stadt bleibt, das Gebäude hingegen in das Eigentum der jüdischen Gemeinde übergeht. Der Vertrag läuft bis Ende 2111, dabei besitzt die IRGW ein Rücktrittsrecht in den ersten drei Jahren. Der symbolische Erbbauzins beträgt einen Euro pro Jahr. Dafür verpflichtet sich die IRGW, alle Kosten des Gebäudes zu tragen und auf rein kommerzielle Nutzung zu verzichten.

In den ersten drei Jahren wolle man gemeinsam mit Rabbiner Yehuda Pushkin die Räume der neuen Gemeinde mit Leben füllen. Regelmäßige Gottesdienste und Veranstaltungen seien geplant. Zudem müsse das Gebäude im Inneren teilweise saniert werden. Die Kosten dafür würden sich auf etwa 200.000 Euro belaufen. „Wir wollen die jüdische Tradition in Esslingen langfristig wiederbeleben und neue Mitglieder gewinnen. Dafür ist eine gute Infrastruktur nötig“, sagt Traub und hofft auf Spenden und Unterstützung der Esslinger Bürgerschaft und der örtlichen Unternehmen.