Am Oberrhein steigt die Zahl minderjähriger Flüchtlinge, die ohne Angehörige gekommen sind. Die Kreise fordern mehr Unterstützung.
Am Oberrhein steigt die Zahl minderjähriger Flüchtlinge, die ohne Angehörige gekommen sind. Die Kreise fordern mehr Unterstützung.
Stuttgart - Sie kommen aus den Maghreb-Staaten Nordafrikas, aus Syrien, Afghanistan, Pakistan oder Indien: unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die vor allem in den südwestlichen Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs stranden. Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Flüchtlingskinder, die ohne Angehörige kommen, mancherorts verdreifacht. „Diese Entwicklung bringt einige Stadt- und Landkreise bei der Unterbringung an ihre Grenzen“, sagte Kristina Reisinger, Leiterin der Stabsstelle beim Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württem-berg (KVJS).
Besonders betroffen sind die Kreise an der Grenze zu Frankreich: „Wir haben vom Ortenaukreis und dem Landkreis Lörrach Klagen erhalten“, so Reisinger. Auch nach Karlsruhe kommen sehr viele, weil sich dort die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Baden-Württemberg befindet.
Im Ortenaukreis hat sich die Anzahl der Minderjährigen, die allein ins Land einreisen, 2013 mehr als verdreifacht. Dort sind im vergangenen Jahr 71 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut gekommen und seit Jahresbeginn weitere 36. Der Landkreis Lörrach meldete für 2013 insgesamt 40 unbegleitete Flüchtlingskinder.
„Die von ihren Eltern getrennten Kinder kommen meist traumatisiert nach Deutschland“, sagte Reisinger. Sie hätten oft Schreckliches hinter sich. „Häufig gelangen die Flüchtlingskinder mit Schlepperbanden nach Deutschland. Es gibt aber auch Fälle, in denen vom Krieg betroffene Eltern ihre Kinder bis zur deutschen Grenze und damit quasi in Sicherheit bringen. Danach kehren sie selbst wieder zurück in ihr Heimatland.“
Um die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten, benötigen die Kinder fachliche Betreuung: „Die Kinder werden zunächst von den Jugendämtern betreut und in Kinder- oder Jugendheime verteilt“, erklärte Reisinger. Dann beginnt die Suche nach Pflegefamilien: „Das gestaltet sich nicht so einfach, da die Kinder meist über keinerlei Deutschkenntnisse verfügen.“
Die unbegleiteten Flüchtlingskinder kommen aus ganz verschiedenen Ländern nach Baden-Württemberg: „Immer dann wenn irgendwo auf der Welt eine Krise ist, bemerken wir einen Zustrom von Flüchtlingskindern aus diesem Land“, erläuterte Reisinger. „In der letzten Zeit waren es deshalb viele Kinder aus Syrien und ausAfrika.“
Der Kommunalverband fordert neben einem finanziellen Ausgleich für besonders belastete Kreise auch eine transparente und gerechte Verteilung dieser Kinder unter den 44 Stadt- und Landkreisen. Die zuständigen Landesministerien müssten die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen schaffen, damit die Kommunen den Kindern helfen können, verlangt Reisinger. Bislang fehle dazu eine gesetzliche Grundlage. „Momentan ist es gesetzlich so geregelt, dass die Stadt- und Landkreise alle unbegleiteten Flüchtlingskinder aufnehmen müssen, die bei ihnen stranden.“
Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) hat dem Landesjugendhilfeausschuss beim Kommunalverband bereits zugesagt, gemeinsam mit dem Integrationsministerium eine Lösung zu finden. „Derzeit prüfen wir die offiziellen Zahlen der unbegleiteten Flüchtlingskinder“, erläutert Helmut Zorell, Sprecher des Ministeriums. „Wenn die Zahlen tatsächlich so hoch sind, wie uns die betroffenen Kreise mitgeteilt haben, muss zwingend nach neuen Lösungen gesucht werden.“
Problematisch bei der Datenerhebung sei, dass viele der Flüchtlingskinder keinen Pass besitzen: „Diese geben sich dann als minderjährig aus, obwohl sie es gar nicht mehr sind“, sagt Zorell. Diese „Verjüngungslüge“ hat Gründe: Anstelle der umfassenden Jugendhilfe erhalten unerlaubt eingereiste Erwachsene zwar auch Essensgutscheine und Sachleistungen im Wert von 184 Euro monatlich – ein Taschengeld von 41 Euro wird ihnen aber meist nicht mehr gewährt.
Bestätigen sich die von den Kreisen genannten Zahlen der Flüchtlingskinder, ist Zusammenarbeit gefragt, erläutert Zorell: „Das Integrationsministerium muss dann gemeinsam mit den Kommunen eine Lö- sung finden.“