Lady Gaga. Foto: promo

Schluss mit Gaga! „Gaga Is Over! “ – so heißt der Slogan, mit dem Lady Gaga ihr Album „Artpop“ bewirbt. Die Platte selbst ist nicht wirklich aufregend. Lady Gaga als Gesamtkunstwerk aber schon.

Schluss mit Gaga! „Gaga Is Over! “ – so heißt der Slogan, mit dem Lady Gaga ihr Album „Artpop“ bewirbt. Die Platte selbst ist nicht wirklich aufregend. Lady Gaga als Gesamtkunstwerk aber schon.

Wer Lady Gagas „Applause“- Video kennt, braucht kein Kunstlexikon. Während die 27-Jährige beteuert, allein für den Applaus zu leben, verwandelt sie sich mal in die nackte Göttin aus Botticellis Gemälde „Die Geburt de Venus“, mal übt sie sich in Schwarz-weiß im expressionistischen Ausdruckstanz oder zuckt und zappelt durch surreale Kunterbuntwelten. Außerdem hat dieser etwas andere Superstar noch Aerobiceinlagen, Catwalk-Schlendereien, Wiedergeburten als schwarzer Schwan, schrillen Glamour und vor allem den Spaß am ästhetisches Chaos zu bieten. „Pop culture was an art, now art’s in pop culture, in me“, heißt es im neuen Gaga-Manifest: Früher war die Popkultur ein Teil der Kunst, jetzt ist die Kunst ein Teil der Popkultur, ein Teil von mir, behauptet sie.

Es war bisher ziemlich bequem, Lady Gaga als Vulgärversion von Madonna abzutun – als Sängerin, die zwar ein paar überkandidelte Smashhits wie „Poker Face“ oder „Paparazzi“ und einige mehr oder weniger geschmackvoller Kostümierungen und Perücken im Programm hat – vor allem aber durch Aufdringlichkeit auffällt. Doch nun wird endlich deutlich, dass sich die 27-Jährige, deren Karriere in der Geschlechterrollen durcheinanderbringenden Klubszene an der Lower East Side New York Citys ihren Anfang nahm, mehr zu bieten hat, als viele glaubten.

Als Lady Gaga neulich ihr Album in Berlin im Club Berghain vorstellte, schmückte sie sich mit einem Salvador-Dalí-Schnurbärtchen. Für die „Artpop“-Covergestaltung engagierte sie den Künstler Jeff Koons, ließ sich wie einst Cicciolina als Kitsch-Porn-Muse ins Szene setzen. Andy Warhols Ideen sind in diesem durch die Popkultur wütenden Album sowieso allgegenwärtig. Und kurz vor der Veröffentlichung machte Lady Gaga auch noch in einem freizügigen Video Werbung für das Kunstinstitut von Marina Abramovic. Die große Dame der Performance-Kunst scheint sowieso gerade trendy zu sein: So bezogen sich zuletzt auch Jay Z und die TV-Sitcom „2 Broke Girls“ auf Abramovic-Arbeiten.

Endlich zum Gesamtkunstwerk geworden

Lady Gaga gelingt mit „Artpop“ jedenfalls die Erweiterung des Popdiskurses mit den Mitteln der Kunst. Sie reichert ihre Songs mit einem im Pop eher ungewöhnlichen Kunstverständnis an, beschert ihren Auftritten einen gewagten Chic, der eher die Frauenrollen, die Grace Jones oder Madonna etabliert haben, nachempfindet, als die, die Rihanna oder Beyoncé heute vorgeben.

„I’n not a wandering slave / I am a woman of choice“, singt sie zum Beispiel in der Nummer „Aura“, die die Platte eröffnet: Nein, sie ist kein herumirrender Sklave, sondern eine Frau der Tat. Und obwohl die Selbstinszenierungen von Lady Gaga, die eigentlich Stefani Joanne Angelina Germanotta heißt, stets erotisch aufgeladen sind, wird bei ihr Sexualität so plakativ vorgeführt, dass sie nicht wirklich zur Männerfantasie taugt, sondern sich mit selbstbewusster Weiblichkeit den Männlichkeitsritualen des Rock’n’Roll entgegenstemmt. Da stört es auch nicht, dass es 30 Jahre nach Madonnas Debüt nicht mehr schockierend ist, wenn Frauen den Liebesakt besingen („G.U.Y.“) oder von Selbstbefriedigung schwärmen („Sexxx Dreams“).

Lady Gaga ist aber endlich zu dem Gesamtkunstwerk geworden, das sie die ganze Zeit schon vorgab zu sein. Während sie abwechselnd vom Sex oder von ihrer Modebesessenheit („Fashion!“, „Donatella“) erzählt, macht sie sich zur Projektionsfläche: „Come to me with all your subtext and fantasy“, komm zu mir mit all dienen Subtexten und Fantasien, singt sie im Titelsong. Selbst das Kirmesdisco-Stampfen, das „Applause“ begleitet, hat etwas Artifizielles, das bis zuletzt widerspenstig bleibt. Doch auch wenn sie viele Spielarten der populären Musik durchdekliniert, Hip-Hop, R’n’B, Elektro, Pop und sogar Powerballaden drauf hat („Dope“) ändern das nichts daran, dass sie nicht unbedingt eine große Sängerin, sonder vor allem eine innovative und mutige Performance-Künstlerin ist. Und ihre Platte ist nicht wirklich ein Popalbum, sondern der Soundtrack für die bisher furioseste Gaga-Show.