Fast eine Dekade lang haben die Taliban versucht, die wichtige Stadt Laschkargah im Süden Afghanistans einzunehmen. Immer wieder wurden sie vor allem mit Hilfe der USA zurückgedrängt. Nun gehört sie ihnen.
Kabul - Die militant-islamistischen Taliban haben die wichtige Stadt Laschkargah im Süden Afghanistans eingenommen. Das bestätigten zwei Provinzräte der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Die Aufständischen nähern sich damit weiter einer völligen militärischen Machtübernahme im Land. Drei Großstädte, darunter die Hauptstadt Kabul, sind noch unter Kontrolle der Regierung. Es gibt Berichte über Angriffe auf weitere kleinere Provinzhauptstädte des Landes.
Laschkargah in der Provinz Helmand war seit Wochen schwer umkämpft. Viele Afghanen gingen aufgrund der heftigen Angriffe davon aus, dass sie die erste wichtige Stadt sein werde, die an die Islamisten fällt. Als die Regierung Ende Juli nur mehr zwei der zehn Polizeibezirke in der Stadt mit geschätzt 200 000 Einwohnern hielt, wurden aus Kabul noch einmal Spezialkräfte entsandt. Diese schafften es mit Unterstützung durch viele Luftangriffe der afghanischen und der US-Streitkräfte zunächst, die Lage zu stabilisieren, wobei aber auch ein Krankenhaus und eine Universität getroffen wurden.
Gouverneur wurde ausgeflogen
Nach anhaltenden schweren Angriffen und dem Einsatz auch von Autobomben gegen das noch von der Regierung gehaltene Polizeihauptquartier allerdings wendete sich die Situation in der Nacht zu Freitag zu Gunsten der Taliban. Der Provinzrat Abdul Madschid Achundsada sagte am Freitagmorgen (Ortszeit), die Taliban hätten die gesamte Stadt eingenommen. Der Kommandeur des 205. Armeekorps, Sami Sadat, sei mit dem Gouverneur ausgeflogen worden. Restliche verbliebene Sicherheitskräfte hätten die Stadt auf dem Landweg verlassen.
Damit fällt die 14. Stadt binnen einer Woche an die Islamisten. Von den wichtigen Städten hält die Regierung nur noch die Hauptstadt Kabul, Masar-i-Scharif im Norden und Dschalalabad im Osten.
Am Freitagmorgen bestätigten Parlamentarier die Einnahme der zweitgrößten Stadt des Landes, Kandahar, durch die Taliban, ihre bislang wichtigste Eroberung. Kandahar mit seinen mehr als 650 000 Einwohner ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und das wirtschaftliche Zentrum des Südens. Kandahar war der Geburtsort der Taliban-Bewegung in den 1990er Jahren. Die Stadt diente zudem als Hauptstadt der Islamisten während ihrer Herrschaft zwischen 1996 und 2001.
Drei Städte allein am Donnerstag erobert
Mehr als drei Wochen lang kam es innerhalb der Stadt zu schweren Zusammenstößen zwischen der Regierung und den Taliban in Kandahar, bevor die Sicherheitskräfte die Stadt räumten, sagte der Parlamentarier Gul Ahmad Kamin, der die Provinz im Parlament vertritt. Die Regierungstruppen hätten schließlich die wichtigsten Behörden verlassen und im 205. Armeekorps der Provinz Zuflucht gesucht.
Am Donnerstag alleine konnten die Islamisten drei Städte einnehmen - darunter die drittgrößte Stadt Herat und die strategisch wichtige Stadt Gasni, die nur 150 Kilometer von Kabul entfernt liegt. Vertreter der afghanischen Regierung haben die sich überschlagenden Ereignisse noch nicht kommentiert.
USA verlegen Soldaten nach Kuwait und Katar
Mehrere Staaten bereiten sich mittlerweile auf die Evakuierung ihrer Botschaftsmitarbeiter und anderer Staatsbürger vor. Die US-Streitkräfte verlegen sofort rund 3000 zusätzliche Soldaten an den Flughafen in Kabul. Damit solle eine geordnete Reduzierung des US-Botschaftspersonals unterstützt werden, hieß es von einem Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. Zudem verlegen die USA demnach bis zu 4000 weitere Soldatinnen und Soldaten nach Kuwait und 1000 nach Katar - für den Fall, dass Verstärkung gebraucht wird.
Der Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan solle aber bis 31. August abgeschlossen werden, so der Sprecher am Donnerstag (Ortszeit). Auch Großbritannien will rund 600 zusätzliche Soldaten schicken, um die Rückführung von Briten aus Afghanistan zu sichern. Zuletzt hatte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag im Weißen Haus erklärt, die Afghanen müssten nun „selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen“.