Das Wrack der Junkers Ju 52 des schweizerischen Vereins Ju-Air liegt auf einem Steinfeld in 2540 Meter Höhe am Piz Segnas (Kanton Graubünden). Foto: Polizei Graubünden/AP

Die Bergung der abgestürzten Oldtimer-Maschine vom Typ Junkers Ju-52 in der Schweiz dauert an. Auch die Bundesanwaltschaft ermittelt. Obwohl die Maschine 79 Jahre alt war, galt sie als sicher und zuverlässig – und die Crew als erfahren.

Dübendorf/Stuttgart - In der Schweiz rätseln Flugsicherheitsexperten über die Ursache des Absturzes einer Junkers Ju-52 des Vereins Ju-Air. Beim schwersten Unglück der Schweizer Luftfahrt seit 2001 starben 20 Menschen. Der Absturz der dreimotorigen Maschine (Baujahr 1936) an der Westflanke des 3098 Meter hohen Piz Segnas, etwa 100 Kilometer südöstlich von Zürich, gilt in der Luftfahrt als ungewöhnlich und wirft viele Fragen auf.

Sind alte Flugzeuge wie die Ju 52 unsicherer als moderne Maschinen?
Nein. Vorausgesetzt, sie werden gut gewartet. Doch das war bei der Unglücksmaschine von Ju-Air eindeutig der Fall. Die Technik ist im Vergleich zu heutigen Flugzeugen zudem überschaubar. Allerdings ist die Ersatzteilbeschaffung oft schwierig.
Was kann zu einem Absturz führen?
Bei Flugzeugunglücken kommen in der Regel technische Mängel, menschliches Versagen oder äußere Umstände in Frage. Technische Mängel schließt der Verein Ju-Air aus. Das Flugzeug sei seit der letzten Wartung ohne jegliche Mängel erst fünf Stunden geflogen. Auch das Alter der Maschine spielt nach Angaben der Flugermittler keine Rolle. „Wenn sie richtig gewartet wird, kann sie betrieben werden“, sagt Daniel Knecht von der schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle, die Verkehrsunfälle untersucht.
Gab es vorher schon Unfälle?
Seit 1983 bietet Ju-Air Flüge mit der Ju 52 an, 1986 folgte die Lufthansa. In dieser Zeit hatte es noch nie ein Unglück mit Verletzten gegeben. Die dreimotorige Junkers 52 (Spitzname „Tante Ju“) gehörte zu den sichersten Passagierflugzeugen der Welt. Zwischen 1932 und 1952 wurden fast 5000 Maschinen mit der typischen silberfarbenen Wellblechverkleidung gebaut. Mit einer Spannweite von 29,52 Metern kann die Ju 52 beim Ausfall von zwei der drei Motoren selbst im Segelflug sicher landen.
Hatte die Maschine eine Black Box?
Nein. Flugzeuge mit einem Gewicht von über 5,7 Tonnen oder mehr als zwölf Sitzplätzen müssen laut einer Richtlinie der internationalen Luftfahrtorganisation ICAO zwar Flugdatenschreiber an Bord haben. Im Fall des Oldtimers Ju 52 (Leergewicht: 5,72 Tonnen) hatte die ICAO aber eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Der Nachrüstungsaufwand wäre nach Ansicht von Experten unverhältnismäßig hoch. Zur Zeit des Baus der Maschine gab es noch keine „Black-Boxes“.
Hatte der Pilot einen Notruf abgesetzt?
Nein. Über die Gründe rätseln die Ermittler. Während des gesamten Fluges hatte die Crew keinerlei Probleme gemeldet. Die Ju 52 prallte mit 20 Personen an Bord „nahezu senkrecht und mit relativ hoher Geschwindigkeit auf den Boden“, erklärt Knecht. Am 4. August waren auf dem Flug von Locarno nach Dübendorf 17 Schweizer sowie ein österreichisches Paar mit Sohn an Bord. Die Insassen waren 42 bis 84 Jahre alt.
Wie können die Experten ohne Black Box die genaue Unfallursache ermitteln?
Dies geht nur über die Wrackteile, da wahrscheinlich auch keine detaillierten Augenzeugenberichten vorliegen. Die Überreste der Maschine werden in einer großen Halle in ihre Einzelteile zerlegt und dort untersucht. Bis ein Ergebnis vorliegt, kann es Monate bis Jahre dauern.
Sind Flüge – vor allem mit Oldtimer-Maschinen – im Gebirge anspruchsvoller als im Flachland?
Ja. Dort gibt es das Phänomen der gefährlichen Bergwinde – Verwirbelungen, die sich vor allem auf der windabgewandten Seite („Lee-Seite“) von Gipfeln bilden können. Diese unsichtbaren Lee-Wirbel führen teilweise zu starken Turbulenzen. Auch gibt es das Phänomen der der „Clear Air Turbulence“ (zu deutsch: Turbulenz in wolkenfreier Luft). Dabei handelt es sich um starke Luftbewegungen in Bereichen ohne sichtbare Wolkenphänomene. Dies führt zu ungewollten Höhenänderungen von Flugzeugen (das sogenannte Luftloch).
Können solche Luftturbulenzen gefährlich werden?
Ja. Der Militär- und Zivilluftfahrtexperte Hansjörg Egger mit langjähriger Luftwaffenerfahrung spekuliert über einen Strömungsabriss. „Ein Strömungsabriss kann eintreten, wenn die Geschwindigkeit zu tief ist – etwa nach einer scharfen Kurve“, sagt er. „In den Bergen fliegt die Ju 52 in geringer Höhe über Boden. Da bleibt keine Zeit, die Maschine abzufangen. Wie es dazu gekommen sein könnte, sei rätselhaft. Bei einem Strömungsabriss haben Flugzeuge nicht mehr genügend Auf- oder Vortrieb.
Welchen Einfluss hatte der Wind?
Die Sicht war am 4. August über Graubünden gut. Nach Angaben der Wetterstation bei Crap Masegn (2500 Meter) herrschte ein Nordwind mit 25 Knoten – umgerechnet 46 Kilometern. Bei klaren Wetterverhältnissen hat der Pilot keinen sichtbaren Anhaltspunkt für die Bewegung der Luftmassen. Er könnte also unbemerkt in eine starke Turbulenz geflogen sein.
Inwieweit ist die Hitze von Bedeutung?
Sie spielt eine große Rolle. Heiße Luft „trägt“ weniger als kühlere Luft – gerade in höher gelegenen Regionen. Die Luftdichte nimmt nach oben hin ab. Dadurch werden auch die Startstrecken für die Flugzeuge länger. Im Flug selber seien Piloten für die Auswirkungen der sogenannten Dichtehöhe sensibilisiert, sagt der Beauftragte der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU), Matthias Felsch. Er meint damit das Phänomen, dass sich das Leistungsvermögen des Flugzeugs mit zunehmender Dichtehöhe verändert.
Was hat es mit der Flughöhe auf sich?
Die Ju 52 ist für eine Gipfelhöhe von maximal 6300 Metern ausgelegt. Nach Angaben von Bodenbeobachtern flog die Maschine bei Obersaxen südlich vom Piz Segnas in 11 000 Fuß Höhe (3,35 Kilometer). Daten zeigen, dass sie zwischen 16.20 Uhr und 16.25 Uhr – 35 Minuten vor dem Absturz um 16.50 Uhr – auf 4500 Fuß (1,37 Kilometer) flog und dann an Höhe gewann.