Rupert Stadler zeigt sich vor Gericht gefasst. Foto: AFP/LUKAS BARTH

Für den Ex-Audi-Chef Rupert Stadler fordert der Staatsanwalt eine Bewährungsstrafe. Kollege Wolfgang Hatz aber soll gut drei Jahre ins Gefängnis.

Es ist ein Sittengemälde, das Staatsanwalt Nico Petzka zeichnet. „Das sind nicht die einzigen Schuldigen“, sagt er gleich zu zu Beginn seines fünfeinhalbstündigen Plädoyers im Münchner Betrugsprozess um den Diesel-Abgasskandal bei VW und Konzerntochter Audi. Der Ankläger meint damit den früheren Audi-Chef Rupert Stadler, den lange dort für die Motorentwicklung zuständigen Topmanager Wolfgang Hatz und den zwei Hierarchiestufen darunter tätigen Ingenieur Giovanni P. Es gebe noch eine sehr große Anzahl weiterer Verantwortlicher bei VW und Audi für den „massiven und erschütternden“ Betrug an Kunden sowie Umweltbelastungen per Abgasausstoß. Dort sei im Stile einer „Verantwortungsillusion“ agiert worden. Das vor seiner Verurteilung stehende Trio habe dabei ein „herausgehobene Bedeutung“.

Bei Stadler als prominentestem und mittlerweile geständigen Täter sieht Petzka die relativ geringste Schuld. Der 60-jährige habe betrogen durch Unterlassung. Beteiligt gewesen am Entwickeln einer Betrugssoftware, die zwar am Prüfstand nicht aber auf der Straße für saubere Abgase gesorgt hat, sei er zwar nicht. Seit Ende 2015 habe Stadler aber wissen können, dass über 26 000 in den USA und Europa verkaufte Dieselfahrzeuge mit illegaler Abschaltvorrichtung für Abgasreinigung unterwegs waren. Einen Schaden von 69 Millionen Euro per Wertminderung müsse er sich deshalb zuschreiben lassen. „Das ist der Skandal nach dem Skandal“, betont der Staatsanwalt. Dessen Anführer sei Stadler gleichwohl nicht gewesen. Angemessen für den Topmanager hält der Staatsanwalt eine Strafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung nebst 1,1 Millionen Euro Bewährungsauflage.

Am Ende dürfte es im Urteil auch so kommen. Denn Gericht, Staatsanwaltschaft und Stadler haben sich auf ein solches Strafmaß bereits geeinigt. Voraussetzung dafür war ein, wenn auch sehr spätes Geständnis des früheren Audi-Chefs vor wenigen Wochen. Das folgte zum Vergleich fünfeinhalb Jahre nach dem des mitangeklagten P., der über weite Teile des Prozesses als Kronzeuge fungiert hatte und für den Petzka die gleiche Bewährungsstrafe gefordert hat. Bei Hatz dagegen sieht der Ankläger die Lage deutlich anders. Der 64-jährige hat gestanden, die Entwicklung der Betrugssoftware „veranlasst“ zu haben. In über 94 000 Fahrzeugen sei diese verbaut worden rechnet Petzka vor.

Den daraus resultierenden Schaden beziffert er auf 2,2 Milliarden Euro vor allem durch den für die USA bestimmten Anteil an Dieselautos. Denn dort waren sie nach dem Entdecken der Betrugssoftware per Gesetz nicht mehr verkäuflich. In Deutschland dagegen bestand ein solcher gesetzlicher Automatismus nicht. Hier war es den Behörden überlassen, die betroffenen Fahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen oder nicht dafür zuzulassen. Das geschah – vorsichtig ausgedrückt – zögerlich.

Bei Hatz komme als damaligem Leiter der Motorenentwicklung erschwerend auch seine herausgehobene Stellung in der Audi-Hierarchie dazu, betonte der Ankläger. Die habe er zudem genutzt, Audi-Mitarbeiter in den Betrug hineinzuziehen. Wie Stadler habe Hatz zudem erst spät gestanden, zu einem Zeitpunkt als seine Schuld praktisch schon bewiesen war. Mit Bewährungsstrafe sei es deshalb auch in Abgrenzung zum Strafrahmen für Stadler und P. nicht mehr getan. Hatz muss nach Meinung des Staatsanwalts für drei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis. Eine Absprache wie bei Stadler und P. zu einer Bewährungsstrafe gibt es nicht.

Für die beiden Topmanager und den Ingenieur zeigte Petzka dabei durchaus auch Verständnis. „Sie waren Druck aus der Organisation ausgesetzt“, stellte er nach zweidreiviertel Jahren Prozessdauer, der Anhörung dutzender Zeugen und diverser Gutachten klar. Speziell Stadler habe unter Zugzwang gestanden, das Europageschäft weiterlaufen zu lassen, nachdem der Dieselskandal in den USA dem VW-Konzern schon ein Debakel beschert hatte. Falls Stadler und Hatz seinerzeit die Reißleine gezogen hätten, „hätten sie sich aus dem Job verabschieden können“, räumte der Ankläger ein. Aber sie hätten es tun müssen angesichts der Schadenshöhe und Luftbelastungen, die ihr Tun nach sich zog. Kommende Woche plädieren die Verteidiger der Angeklagten. In zwei Wochen wird das Gericht dann als erstes in Deutschland ein Urteil im Dieselskandal verkünden.

Der Audi-Prozess

Erkenntnisse
Der Münchner Audi-Prozess im Diesel-Abgasskandals hat einige bemerkenswerte Erkenntnisse zu Tage gefördert. So wurden in den USA geltende Schadstoffgrenzwerte durch eine illegale Abschaltvorrichtung für Dieselabgase für einen bestimmten Motortyp um das 50-fache überschritten. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Abgasreinigung auf der Straße bei in Europa verkauften Modellen aktiv war, lag teils bei unter 0,1 Prozent. Sie war grundsätzlich erst ab Temperaturen über 18 Grad Celsius aktiv.

Varianten
Bei solchen Angaben ist zu berücksichtigen, dass verschiedene Varianten einer illegalen Betrugssoftware in mehreren Motorentypen im Einsatz waren und ermittelte Werte deshalb von Fall zu Fall unterschiedlich sind. Immer gleich war, dass die Software erkannt hat, wann ein Auto auf dem Prüfstand lief und dann die Abgasreinigung aktiv war. Verbaut wurde die Betrugssoftware, weil Manager die zur Abgasreinigung nötige Flüssigkeit Adblue aus Marketinggründen auf 0,4 bis 0,6 Liter pro 1.000 Kilometer begrenzen wollten. Nötig gewesen wären aber drei Liter.