Szene aus „Solaris“: Kris Kelvin (Donatas Banionis) trägt das Abbild seiner Frau (Natalja Bondartschuk). Foto: Progress

Was, wenn unsere Gedanken plötzlich wahr werden? Und wo verläuft dann die Grenze zwischen uns und der Welt um uns herum? Fragen wie diese stellt sich das russische Kino: Das Filmfestival in Stuttgart will von diesem Mittwoch an die ganze Tiefe menschlicher Emotionen zeigen.

Stuttgart - Russische Filme aus der Sowjetzeit hierzulande im Kino zu zeigen ist nicht einfach. Wer besitzt die Rechte an den einstmals volkseigenen Filmen? Woher bekommt man die Kopien? Nelly Eichhorn weiß, dass es hier viele Fallstricke gibt – und wie man sie umgeht. Die Gründerin des Theaters am Olgaeck hat die Idee in Angriff genommen, in Stuttgart ein russisches Filmfestival zu etablieren. Von diesem Mittwoch an sind russische Filme aus der Zeit zwischen 1965 und 2012 im Kino Delphi und im Theater am Olgaeck zu sehen. Die armenisch-französische Georgierin Nelly Eichhorn will damit ein Fundament für weitere Festivals schaffen. „Am Anfang der Planungen wollten wir vor allem aktuelle Filme ins Programm nehmen, aber dann haben wir uns entschlossen, die Klassiker zu zeigen“, sagt sie. Die Filme werden fast ausschließlich in deutscher Synchronisation laufen. „Wir wollen nicht, dass die Russischsprecher unter sich bleiben“, so Nelly Eichhorn.

Gezeigt werden international prämierte Filme wie „Solaris“ von Andrej Tarkowski aus dem Jahr 1972. Die Geschichte basiert auf dem gleichnamige Science-Fiction-Roman von Stanislaw Lem. Es geht um den Psychologen Kris Kelvin, der auf eine Raumstation in der Umlaufbahn des Planeten Solaris geschickt wird. Dort geschehen merkwürdige Dinge: Die Erinnerungen der Besatzungsmitglieder werden manifest. Auch Kelvin bekommt das zu spüren, als er von einer Doppelgängerin seiner verstorbenen Frau Hari heimgesucht wird. Am Ende verschwimmen die Grenzen von Realität und fleischgewordener Erinnerung ganz. Kelvin glaubt auf die Erde zurückgekehrt zu sein, in Wirklichkeit ist er noch immer auf Solaris. Das Elternhaus, in dem er sich wähnt, entpuppt sich als Illusion.

Ein Film, der exemplarisch die Stärken des russischen Kinos zeigt, findet Nelly Eichhorn. „Die Emotionen der Figuren werden hier in ihrer ganzen Tiefe gezeigt und nachvollziehbar gemacht“, sagt sie.

Leo Tolstois „Krieg und Frieden“ als vierteilige Verfilmung

Dabei haben die bis zu 50 Jahre alten Filme nicht an Aktualität verloren, ist sich Eichhorn sicher. „Nehmen Sie den Film ‚Vogelscheuche‘ von Rolan Bykow aus dem Jahr 1984“, sagt sie. Es geht um ein zwölfjähriges Mädchen, das als Neuankömmling in der Klasse gnadenlos gemobbt wird. „Das ist doch ein hochaktuelles Thema“, sagt sie.

Eichhorn möchte besonders Schüler mit dem Programm des russischen Filmfestivals erreichen. „Wir haben am Donnerstag und Freitag jeweils eine Vorstellung um 10 Uhr, und wir haben Material vorbereitet, mit dem die Schüler die Auseinandersetzung mit den Filmen vertiefen können“, sagt Eichhorn.

Ganz tief eintauchen in die Welt des russischen Films kann auch, wer sich die vierteilige Verfilmung von Leo Tolstois „Krieg und Frieden“ anschaut. Insgesamt dauert der Filmmarathon über sieben Stunden. Er beginnt an diesem Donnerstag im Kino Delphi (Tübinger Straße 6) um 16 Uhr. Mit den Literaturverfilmungen der großen russischen Autoren wie Tolstoi und Dostojewski hofft Eichhorn, die Besucher ins Kino zu locken. „Diese Namen hat jeder schon einmal gehört.“

Begleitend zum filmischen Programm gibt es eine kleine Fotoausstellung im Foyer des Theaters am Olgaeck. Der Fotograf Rüdiger Schestag zeigt ungewöhnliche Ansichten von St. Petersburg abseits von touristischen Sehenswürdigkeiten. An diesem Samstag ist der Journalist und Russland-Experte Roland Haug im Theater am Olgaeck zu Gast und spricht über alte Feindbilder und neue Hoffnungen im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland.