32-Jähriger legt bei Prozess Geständnis ab. Ein vom Leben Enttäuschter? Urteill könnte im Februar fallen.

Es ist wohl der größte Polizeieinsatz, den man im Nordschwarzwald je gesehen hat: Mehr als 2000 Einsatzkräfte durchkämmen den Wald, Polizeihubschrauber kreisen über dem Städtchen Oppenau, Spürhunde suchen nach Fährten. Das massive Aufgebot gilt einem 31-Jährigen, der kurz zuvor die Polizei düpiert hat: Yves R. hat vier Beamten ihre Waffen abgenommen und sich damit in den Schwarzwald geschlagen.

Seine Flucht hält das Land in Atem. Erst fünf Tage nach seinem Entkommen gelingt der Polizei die Festnahme. Jetzt steht R., heute 32, in Offenburg vor Gericht - und äußert sich beim Prozessauftakt am Freitag zu den spektakulären Geschehnissen. Er habe aus Angst vor einer Verhaftung gehandelt, lässt er seine Anwälte verkünden. Unter anderem wegen Geiselnahme drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft.

Wer kommt auf die Idee, vier Polizisten zu entwaffnen? Und wer schafft es, sich tagelang vor Hunderten Beamten im Wald zu verstecken? Vor Gericht stellt R. - Glatze, zum Zopf gebundenes Ziegenbärtchen - sich als ein vom Leben Enttäuschter dar, als "Outdoorfreak", der in der Natur sein Glück gesucht habe.

An seine Kindheit und Jugend in Oppenau habe er wenige Erinnerungen, heißt es in seinem von den Anwälten verlesenen Statement. Seine Eltern lebten getrennt. Mit etwa 20 Jahren sei er nach Pforzheim gezogen, um dort Goldschmied zu lernen. Doch er landete nach einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung für dreieinhalb Jahre im Gefängnis, bis 2013.

"Reflexhaftig" Waffe auf Polizisten gerichtet

Die Arbeit als Tischler, die er im Gefängnis gelernt hatte, machte ihm keine Freude. 2015 oder 2016 habe dann seine Lebensgefährtin ihr gemeinsames Kind gegen seinen Willen abgetrieben. Er sei in eine Krise gestürzt, habe Medikamente genommen und seinen Job verloren. Daraufhin habe er beschlossen, durch Deutschland zu wandern. "Ich wollte mir so von der Natur helfen lassen", lässt er seine Anwälte verlesen. Im Frühling 2020 beginnt er eine Art Probelauf für seine große Tour - in den Wäldern um Oppenau.

Was er seine Anwälte beschreiben lässt, klingt nach wilder Idylle: Aus Ästen und Reisig habe er sich ein Bett gebaut. Als Nahrung dienen ihm unter anderem Nüsse, Beeren, Blätter und Brennnesseln. Ein Kaninchen namens Freddy und ein Eichhörnchen namens Harald leben mit ihm zusammen. Und Trinkwasser gewinnt er mit einem Filter. Irgendwann habe er nach einem Zwischenlager für seine Ausrüstung - darunter Messer, Schreckschusswaffen und Pfeil und Bogen - gesucht und sei für ein paar Nächte in eine scheinbar ungenutzte, zugewucherte Gartenhütte gezogen.

Am 12. Juli überschlagen sich plötzlich die Ereignisse: Beamte, die vom Besitzer der Hütte alarmiert wurden, rücken zu einer Kontrolle an. R. sagt über seine Anwälte, er habe sich von einem der Polizisten durch herablassende Kommentare provoziert gefühlt. Als der Mann ihn habe durchsuchen wollen, habe er Angst bekommen, dass er nun verhaftet werden solle - und habe "reflexhaft" seine Schreckschusswaffe gezogen und auf den Beamten gerichtet.

"Ein Germane stirbt mit der Waffe in der Hand"

Der Mann und seine Kollegen legen ihre Waffen ab und ziehen sich zurück. Davon sei er selbst überrascht gewesen, lässt R. vorlesen. Im Wald bewegt er sich vorwiegend nachts fort, isst Buchenblätter und trinkt Bachwasser, wie er später einem Polizisten sagen sollte, der in Offenburg als Zeuge geladen ist. Die Dimension der Suchaktion sei ihm nicht ganz bewusst gewesen.

Nach einiger Zeit sei er ausgehungert und dehydriert gewesen, verlesen die Anwälte. Er habe sich schließlich einem Postboten nahe Oppenau gezeigt. "Ich wollte einfach nur, dass es aufhört." In einem nahen Gebüsch wird er wenig später von Polizisten umstellt, seine Axt auf dem Schoß, die Waffen bei sich. Ein Video von seiner Festnahme, das der Vorsitzende Richter Wolfgang Kronthaler vorspielt, zeigt dramatische Szenen: SEK-Beamte rufen: "Yves, komm raus jetzt!", und "Wenn du eine falsche Bewegung machst, schießen wir!"

R. lässt verlesen, er habe sich fast gewünscht, dass er erschossen würde, weil er auf keinen Fall ins Gefängnis wollte. Aufgeben sei für ihn nicht infrage gekommen. Ein Polizist, der ihm bei der Festnahme sehr nahe kam, sagt als Zeuge aus, Yves R. habe gerufen: "Ein Germane stirbt mit der Waffe in der Hand." Ein Taser wird auf ihn abgefeuert, R. verletzt mit der Axt einen Beamten am Fuß. Kurz darauf wird er überwältigt und sitzt seither in U-Haft. Das Urteil könnte am 19. Februar fallen.