Ulrich Kelber, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesjustizministerium (von links), und der Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner waren zu einem Fachgespräch in der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer zu Gast. Ralph Sauer (rechts) warf der Politik vor, die Verbraucher beim Abgasskandal nicht genug geschützt zu haben. Foto: Schabel

Lahrer Kanzlei vertritt betroffene Autobesitzer / Politiker zu Besuch

Auf die Besitzer der vom Abgasskandal bei Volkswagen betroffenen Fahrzeuge kommen Ärger und Probleme zu. Doch viele von ihnen jammern nicht, sondern klagen – und lassen sich dabei von Lahrer Juristen vertreten.

Lahr. Auf ihrer Internetseite nennt sich die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer selbstbewusst "Marktführer im VW–Abgasskandal". Die Zahlen dazu lieferte Ralph Sauer, einer von zwei Geschäftsführern, am Mittwoch bei einem Fachgespräch in der Kanzlei. Demnach hat die Rechtsanwaltsgesellschaft mit Vertretungen in Lahr und Freiburg rund 35 000 vom Abgasskandal Betroffene beraten, von denen 10 000 auch ihre Mandanten geworden sind. Meist seien es Menschen mit Rechtsschutzversicherung, die den Klageweg beschreiten, so Sauer. Bisher habe man etwa 4000 Prozesse geführt, weitere würden folgen.

Die Erfolgsaussichten seien sehr gut, so Sauer – so habe etwa das Landgericht Offenburg noch in jedem dieser Verfahren gegen VW entschieden und den Verbrauchern Schadenersatz zugesprochen. Erst vor wenigen Tagen hat die Kanzlei ein grundsätzliches Urteil am Landgericht Heilbronn erstritten, das einen Händler zur Rücknahme eines Audi Q 3 zwingt.

Doch nicht nur Händler und Hersteller bringt die Lahrer Kanzlei vor Gericht. Zuletzt hat sie im Namen eines Mandanten, wie berichtet, niemand Geringeres als die Bundesrepublik Deutschland verklagt, vertreten durch das Bundesverkehrsministerium. Sauer verhehlte am Mittwoch nicht, dass diese sogenannte Staatshaftungsklage "eine politische Komponente" besitze. Dem Mandanten, Käufer eines mit der Manipulationssoftware ausgestatteten Golf GTD, gehe es darum, den "wahren Schuldigen" vor Gericht zu bringen – die Politik.

Einen Vertreter der Regierung hatte Sauer am Mittwoch in der Kanzlei in der Einsteinallee zu Gast – Ulrich Kelber, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete seiner Heimatstadt Bonn war nach Lahr auf Einladung seines Parteikollegen Johannes Fechner gekommen, der seinerseits in der SPD-Fraktion zuständig für Rechtspolitik und Verbraucherschutz ist.

Kelber musste sich einiges von Sauer anhören, der offenbar ein Freund klarer Worte ist. Über den Diesel-Gipfel am 2. August, bei dem die Bundesregierung und deutsche Automobilhersteller Vereinbarungen hinsichtlich der Schadstoffausstoß-Reduktionen trafen, sagte der Jurist etwa, dass er "selten eine peinlichere Veranstaltung erlebt" habe. Der Staat trage eine Mitverantwortung am Abgasskandal, weil er seiner Verantwortung nicht gerecht werde, die Verbraucher zu schützen. Konkret wirft Sauer dem Kraftfahrtbundesamt vor, viel zu spät erkannt zu haben, dass es Manipulationen gibt. Doch auch die Autoindustrie bekam ihr Fett weg. Sauer sagte, dass die Hersteller durch die Manipulationen die Umwelt vergiften, um ihre Profite zu steigern. Das sei in einem Ausmaß geschehen, "dass man über Mord reden darf".

Den schwarzen Peter gab Staatssekretär Kelber an den Koalitionspartner weiter: Der Diesel-Gipfel sei "kein Gipfel der Regierung, sondern einer von Dobrindt" gewesen – der Bundesverkehrsminister gehört der CSU an. Er, Kelber, sei gegen Fahrverbote und dafür, Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen. Dafür seien sogenannte Musterfeststellungsklagen geeignet, bei denen Verbände und Organisationen in einem einzigen Gerichtsprozess etwa Schadensersatzansprüche mehrerer Verbraucher gegen Unternehmen klären lassen können. Der Gesetzesentwurf dafür ist im SPD-geführten Bundesjustizministerium ausgearbeitet worden, doch das Verfahren stockt, da innerhalb der Regierung Uneinigkeit darüber herrscht.

Auch Fechner machte sich für Musterfeststellungsklagen stark und forderte, dass betroffene Fahrzeuge auf Kosten der Industrie technisch nachgerüstet werden sollen – statt auf schlichte Software-Updates zu setzen, die laut Sauer die Langlebigkeit der Motoren beeinträchtigen können.

Der Anwalt sagte, er sei kein Freund der geplanten Musterfeststellungsklagen, da sie nur von einem einzigen Vertreter geführt würden. Stattdessen ließ er Sympathien für das US-Rechtssystem durchblicken, wo sich mehrere Großkanzleien zu einer Sammelklage zusammentun können. Vor solchen Verfahren würde "die Industrie sich in die Hose machen". Dagegen würden in Deutschland Unternehmen, die Straftaten begehen, zu sanft angefasst.

INFO

Abgasskandal

Die Volkswagen AG ist am 18. September 2016 dabei überführt worden, eine illegale Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung ihrer Diesel-Fahrzeuge einzusetzen, um die US-amerikanischen Abgasnormen zu umgehen. Laut der Volkswagen AG ist die betreffende Software in weltweit etwa elf Millionen Fahrzeugen im Einsatz. Betroffen sind laut dem deutschen Bundesverkehrsministerium auch in Europa zugelassene Autos sowie – wie sich später herausstellte – auch Fahrzeuge von Audi und Porsche.