Die Trümmer der abgestürzten Maschine stürzten auf Grafenhausen und versetzten dort zwölf Gebäude in Flammen. Foto: Archiv

„Das Wunder von Grafenhausen“ titelte die Presse damals: Wer vor dem 21. August 1963 auf der Welt war und in Grafenhausen wohnte, kann von einem zweiten Geburtstag sprechen, denn eine schreckliche Katastrophe ereignete sich, an die sich auch 60 Jahren nach dem Geschehens noch viele erinnern.

Es ist Mittwoch, der 21. August 1963, um 4.30 Uhr. Auf dem Flugplatz Lahr-Dinglingen heulen die Turbinen der dort stationierten Düsenjägermaschinen. Seit Dienstag befinden sich die Düsenjägerpiloten auf dem Nato-Flugplatz im Großeinsatz, denn eine zweitägige Übung stand auf dem Plan. An jenem Morgen erhält der Pilot vom Kommandoturm des Flugplatzes den Startbefehl. Zwei Minuten später erreicht ihn von dort aus der Funkspruch: „Ihre Maschine brennt“.

Der 30-jährige, französische Pilot hat nur zwei Sekunden Zeit um zu handeln. Das Flugzeug lässt sich nicht mehr steuern und gewinnt auch keine Höhe mehr. Der Pilot betätigt den Schleudersitz. Seine Kampfmaschine, eine F110 rast in irrsinnigem Tempo führerlos durch die Nacht auf das schlafende Dorf zu. Sekunden später bohrt sich der brennende Düsenjäger in eine Wiese, keine hundert Meter von der Grafenhausener Kirche entfernt. Ein ohrenbetäubender und donnerartiger Schlag reißt Augenblicke später die Bewohner von Grafenhausen aus dem Schlaf. Dann erhellt ein Feuerschein die einsetzende Dämmerung. Die Maschine zerreißt es beim Aufprall in Stücke. Diese fliegen über den mittleren Ortskern und die herumfliegenden Trümmer entfachen Brände. An mehreren Stellen brennt es lichterloh. Minuten später: Sirenen heulen, Feuerwehren bekämpfen die Brandherde.

Zwölf Gebäude in Flammen, Munition explodierte

„Es war wie ein Weltuntergang“, erinnern sich noch heute Bürger an den 21. August 1963. An jenem Morgen bietet sich ein Bild des Grauens: Ein Wohnhaus, sechs Scheunen, fünf Schuppen und Ställe stehen in Flammen. Im ganzen Dorf sind Trümmer des Düsenjägers verstreut. Auch Strom- und Telefonversorgung wurden lahmgelegt.

Bürgermeister Josef Schludecker setzte sich ins Auto und konnte auf dem Weg nach Orschweier am Bahnhof eine Streife des Autobahnverkehrszugs Riegel, die routinemäßig die Autobahn abfuhren, treffen, die schon dabei waren, über Funk die Feuerwehren aus der Umgebung herbeizurufen. Mit großem Aufgebot bekämpfen die Wehren aus Grafenhausen, Kappel, Lahr, Ettenheim, Orschweier, vom Nato-Flugplatz und vom Herbolzheimer Bundeswehr-Depot die Brandstellen. Gefährdet wurden die Löscharbeiten durch von der abgestürzten Maschine mitgeführte Munition, die in verschiedenen Ecken und Winkeln des Dorfes explodierten.

Ein Ökonomiegebäude, das bei dem Unglück zerstört wurde. Foto: Archiv

In einer damaligen Zeitung war Tag darauf folgendes zu lesen: „Verstörte Menschen standen herum oder suchten nach ihren Angehörigen. Niemand konnte richtig Auskunft geben, der Schreck saß allen noch in den Gliedern. Ein Mann und eine Frau rannten im Nachthemd durch die Straße und suchten ihre Kinder, als sie nach Hause zurückkehrten, war ihre Scheune abgebrannt. „Unmenschliche Schreie hörte man nach der Explosion“, erzählte eine Frau nach dem fruchtbaren Explosionsknall, der die Leute aus dem Schlaf gerissen hatte.

Überall lagen Teile des Flugzeugs verstreut

Trotzdem hatte aber die Bevölkerung von Grafenhausen den Kopf nicht verloren, sondern sofort Hand angelegt, um das Vieh und das Mobiliar der geschädigten Anwesen zu retten. Überall, wo man im Dorf ging, sah man Teile des Flugzeugs, das bei der Explosion völlig zerrissen wurde. In einer Scheune hing ein Flügel des Düsenjets, ein Wohnhaus wies große Löcher auf, an anderen war durch herabfliegende Teile das Dach beschädigt.

Sogar der Pilot überlebte das Unglück

Und überall waren die Feuerwehrmänner am Werk, um den Brand zu lokalisieren und zu verhindern, dass noch mehr Häuser abbrennen. Durch den raschen Einsatz und die unermüdliche Hilfe aller Beteiligten ist es gelungen, das Feuer vor allem von weiteren Wohnhäusern fernzuhalten. Unterdessen hatten französische Soldaten durch Absperrungen dafür gesorgt, dass die Feuerwehrmänner ungehindert arbeiten konnten.

Der Schrecken der Grafenhausener Bürger löste sich am Nachmittag, als bekannt wurde, dass keine Menschenleben dem Unfall zum Opfer gefallen waren, ja dass nicht einmal jemand verletzt wurde. Auch der Pilot überstand das Unglück nahezu unversehrt, musste aber mit einem Schock in das Lahrer Krankenhaus eingeliefert werden. Als dann der Tag anbrach, sah man die Ausmaße des Absturzes. Rund 150 Meter vom nördlichen Dorfrand entfernt, schlug die Maschine auf einem Feld auf. Die Explosion war so groß, dass ein Teil des Triebwerks über das Dorf flog. Herumfliegende Flugzeugtrümmer hatten vielen Gebäude beschädigt, Ziegel heruntergerissen, Fenster sind zersplittert. Auf dem Friedhof hat die Druckwelle Grabsteine umgestürzt. An den Obstbäumen ringsum wurden die Wipfel abgeflammt.

Materialschaden ging in die Hunderttausende

Was aber wäre passiert, wenn die F110 einige Stunden später abgestürzt wäre, zu einer Zeit, zu der viele Grafenhausener auf der Straße waren? Später kam der Pilot ins Dorf, die Bewohner empfangen ihn ohne Vorwürfe. Im Gegenteil: Eine nette Geste kam von dem am schlimmsten betroffenen Landwirt Alfred und Rosa Moser. Sie reichten ihm eine Tasse Kaffee zur Stärkung.

Die Nachricht vom Unglück verbreitete sich schnell: An jenen Tagen rollten viele Fahrzeuge auf das Dorf zu. Auch 1963 gab es schon jene „Katastrophentouristen“, die sich an dem Bild verkohlter Trümmer ergötzen. Auch der Regierungspräsident Anton Dichtel aus Freiburg traf ein, Abgeordnete und weitere politische Mandatsträger informierten sich vor Ort über das Ausmaß der Katastrophe. Der Materialschaden ging in die 400 Hunderttausend.

Die Feuerwehr tat ihr Möglichstes, um ein Ausbreiten des Feuers zu verhindern. Foto: Archiv

Dichtel versprach den geschädigten Einwohnern, dass alles getan werde, um die Entschädigungsfrage so bald als möglich zu lösen. Es sollte sich jedoch über Monate hinziehen, auch weil viele Bürger damals kein Girokonto hatten. Landrat Dr. Wimmer erklärte: „Wie ein Wunder, dass es keine Tote gab. Im Hinblick auf die Gefahr muss möglichst schnell gehandelt werden.“ Der Schätzer der Badischen Gebäudeversicherungsanstalt Karlsruhe, Gerhard Scheumann, brach seinen Urlaub ab und übernahm die Abwicklung der 65 geschädigten Anwesen. Dabei unterstützten ihn Bürgermeister Josef Schludecker und Ratsschreiber Stähle.

Mit großen Geräten wurde Tage später mit den Aufräumungsarbeiten begonnen. Ein Gedenkstein inmitten des Dorfes erinnert auch heute noch an „das Wunder von Grafenhausen“.

Das berichten Zeitzeugen

Elsa Pfeifer (94)
wurde damals durch die Explosion aus dem Schlaf gerissen und sah von ihrem Fenster aus einen riesigen Feuerball. Einen Bombenabwurf vermutete Alfred Hägle (83) im ersten Moment.

Egon Hund (83), Feuerwehrmann aus Kappel erinnert sich, wie er mit dem Traktor den Tragkraftspritzenhänger zum Brandherd brachte und der Metzger Edgar Kossmann im Viehanhänger die Schläuche nach Grafenhausen fuhr. Karlheinz Singler kann sich noch an die Brandbekämpfung erinnern, bei der es immer wieder zu Explosionen von der mitgeführten Munition kam. „Der Schleudersitz schlug durch unser Dach“, so Irma Rest (86), „zerstörte neben Tische und Stühle auch den Kinderwagen“.

Gerhard Löffel (83) erinnert sich an die schnelle Rettung des Großviehs und der Schweine aus den Stallungen. An die Strapazen seines Vaters, der Feuerwehrkommandant war und mehrere Tage sehr gefordert war, kann sich Edmund Baumann (82) noch erinnern.

Erschwert wurden die Löscharbeiten durch die nicht vorhandene Infrastruktur. Im Ort war noch keine Wasserleitung verlegt, aus Schöpfbrunnen wurde so das Wasser mit Eimern an die vielen Brandstellen gebracht. Die Feuerwehr hat das Löschwasser aus Tiefbrunnen entnommen, so Ehrenkommandant Richard Anselm (87).

Maria Köbele (94) erinnert sich, dass der verängstigte Pilot sich über der den Schleudersitz gerettet hatte, mit einem Fuhrwerk ins Dorf gebracht wurde, wo er von der Bevölkerung herzlich empfangen wurde.