Susann Urban und José F.A. Oliver bei der Premiere zu den "Überseezungen" in der Hausacher Stadthalle Foto: Dorn

Zur Premiere des neuen Leselenz-Formats "Überseezungen" hat die Übersetzerin Susann Urban Einblicke in ihre Arbeit und die Geschichte des Übersetzens gegeben. Schon als Schülerin war ihr Berufswunsch klar.

Hausach. Der Schriftsteller José F.A. Oliver begrüßte am Sonntag die Übersetzerin Susann Urban in der Hausacher Stadthalle. Urban wird der neuen Reihe als Kuratorin vorstehen. Sie gab dem Publikum anhand des zuletzt von ihr übersetzten Werks "Der Geist von Tiger Bay" der somalischen Autorin Nadifa Mohamed erste Einblicke in die Entstehungsgeschichte der Übersetzung als solches.

Schon als Schülerin hatte Urban von einer Karriere als Übersetzerin geträumt. Der steinige Weg dahin führte sie über einen Job in der IT-Branche mit Übersetzungen trockener Projektberichte, ehe es dann mit ersten Roman-Übersetzungen klappen sollte.

Urban und Oliver schilderten die besondere Problematik, die sich bei Übersetzungen ins Deutsche zwangsläufig einstelle. Man müsse sehr darauf achten, eigene, im Dialekt-Umfeld (bei der Stuttgarterin Urban das Schwäbische, beim Hausacher Oliver das Alemannische) erworbene Sprachgewohnheiten auszublenden, auch wenn für die Übersetzung vielleicht gerade der spezielle schwäbische Begriff die perfekte Umschreibung wäre. Die geistige Leistung des Übersetzers würde von vielen Verlagen leider viel zu selten gewürdigt, oft schaffe es die Personalie des Übersetzers gerade noch so ins Impressum.

Auch bei der Auswahl des deutschen Buchtitels habe der Übersetzer nur wenig mitzureden, denn der Titel müsse im Buchhandel funktionieren und daher hätten hier das Lektorat und noch mehr die Vertriebsabteilung der Verlage das Sagen.

Recherchen ähnlich aufwendig wie bei den Autoren

Für ihre letzte Auftragsarbeit habe Urban sich in die Verhältnisse im Hafen der walisischen Stadt Cardiff der 1950er-Jahre zurückversetzen müssen, ohne Wikipedia und Google sei das für heutige Übersetzer ein fast unlösbares Unterfangen. Vergleichbare Recherchen habe sicherlich auch die Autorin des englischen Originals vornehmen müssen. An einer Stelle habe Urban dann sogar tiefer geschürft als Nadifa Mohamed und festgestellt, dass in den Comics, die der Protagonist in den 1950er-Jahren liest, eine Comicfigur vorkommt, welche das "Marvel"-Comic-Universum tatsächlich erst Ende der 1960er-Jahre betreten hatte. Urban habe dann entschieden, dass die Comic-Figur im Roman verbleiben dürfe, für die "Wirkungsäquivalenz" des Buches sei dieses Detail auch nicht entscheidend gewesen. Die "Wirkungsäquivalenz" sei die Richtschnur für die Kunst des Übersetzens, müsse sich das Werk im Deutschen doch genau so lesen lassen wie für einen Briten, der das Werk im englischen Original lese.

Anhand von vier Textstellen machte Urban diese Problematik für das Publikum begreifbar: Mal musste sie entscheiden, ob Begriffe, welche Mohamed im somalischen Original belassen hatte, in der deutschen Übersetzung stehengelassen und bestenfalls an Ort und Stelle erklärt werden, oder ob sie sich die Freiheit zur wertschöpfenden Eigenkreation nehmen dürfe. Für ersteres wurde aus dem somalischen "soo-qaado-taas-man" und dem englischen "fetch-it-boy" ins Deutsche übersetzt der "Hol-dies-mach-das-Junge". Eine Anregung, die sich José F.A. Oliver zumindest in der englischen Übersetzung gut für Ankündigungen im neuen Leselenz-Programmheft vorstellen könnte.

Honigsüße Wortsägen für den besonderen Wortschatz

Als Eigenkreation ersann Urban für den englisch-somalischen Hybridbegriff "honeyed af-minshaar" die deutsche "honigsüße Wortsäge". Auch das ein Begriff, der nicht lange brauchen dürfte, um es in den Oliver’schen Wortschatz zu schaffen. Man darf gespannt sein, zu welchen Gelegenheiten er diese Vokabel verwenden wird.

Laut Susann Urban schafft ein Übersetzer monatlich etwa ein Pensum von knapp 100 Seiten. Am Ende der ersten Arbeitsphase bleiben vielleicht 20 bis 30 kritische Stellen, über die mit dem Autor oder dem Lektorat diskutiert werden müsse. Für die Übersetzung eines 300 Seiten umfassenden Buches müssten demnach vier Monate Arbeitszeit bedacht werden.