Otto von Bismarck, Gutsherr, Politiker und Reichskanzler, war eine bedeutende, aber auch umstrittene Person der deutschen Geschichte. Foto: Archiv

Historiker Walter Caroli stellt in einer Serie die Lahrer Ehrenbürger vor. Der heutige Teil ist Otto von Bismarck gewidmet. Der Reichskanzler unterdrückte politische Gegner, einte die Nation und führte die modernsten Sozialgesetze seiner Zeit ein.

Die bisher als gültig angesehene Liste der Lahrer Ehrenbürger muss um eine Person erweitert werden. Es handelt sich um keinen Geringeren als den berühmten Reichskanzler des Deutschen Reiches, Otto von Bismarck.

Der Lahrer Ehrenbürger Otto von Bismarck gehört zu den bedeutendsten politischen Persönlichkeiten der deutschen Geschichte. Als Ministerpräsident von Preußen realisierte er die deutsche Reichsgründung und installierte als Reichskanzler außenpolitisch ein feinmaschiges europäisches Bündnissystem. Der erzkonservative Politiker sah Sozialdemokraten und Katholiken als Reichsfeinde.

Otto von Bismarck wurde im Jahr 1815 in Schönhausen als Sohn eines adeligen Rittmeisters geboren. Seine Mutter entstammte einer bürgerlichen Gelehrtenfamilie. Nach dem Abitur in Berlin studierte er Jura in Göttingen und Bonn und war dann im Verwaltungsdienst tätig. Nach seinem einjährigen Militärdienst im Jahr 1838 bewirtschaftete er das landwirtschaftliche Gut seiner Mutter.

Die politische Karriere begann er als preußischer Landtagsabgeordneter und wurde 1862 vom preußischen König Wilhelm zum Ministerpräsidenten Preußens berufen. Neben seinem Amt als Ministerpräsident fungierte er zugleich von 1867 bis 1871 als Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes.

In der Funktion des Reichskanzlers des neugegründeten Deutschen Kaiserreiches versuchte Bismarck, „eiserner Kanzler“ genannt, außenpolitisch, Frankreich durch ein ausgeklügeltes Bündnissystem zu isolieren. Innenpolitisch bekämpfte er mit dem Kulturkampf das katholische „Zentrum“, erließ die Sozialistengesetze gegen die aufstrebende Sozialdemokratie, führte aber gleichzeitig eine staatliche Sozialgesetzgebung ein. Inhaltliche Differenzen mit Kaiser Wilhelm II. führten 1890 zu seiner Entlassung

Bismarck genoss große Verehrung in Lahr. Man hätte ihn gerne in der Stadt begrüßt, aber dazu ist es nie gekommen. Im Stadtpark platzierte man eine von dem Stuttgarter Adolf Donndorf (1835-1916) modellierte und bei Raupp und Müller in Karlsruhe in Granit ausgeführte Büste. Das Denkmal wurde am 18. Juli 1893 eingeweiht.

Bismarck wurde Lahrer Ehrenbürger, obwohl er die Stadt nie besucht hat

In ganz Deutschland nahm die Bismarck-Verehrung, insbesondere nach seinem 80. Geburtstag und nach seinem Tod, kultische Züge an. Straßen, Plätze, Apotheken, Hotels, sogar Stadtteile und Städte, aber auch Gurken, Äpfel, Zigarren, Bäume und Heringe wurden nach ihm benannt. Rund 500 Bismarck-Denkmäler und etwa 240 Bismarck-Türme entstanden. Rechte Kreise stilisierten ihn zum mythischen Übervater der deutschen Nation hoch.

Auch die Nationalsozialisten nutzten seine Strahlkraft. So stellte sich Adolf Hitler als Vollender des Einigungswerks des „Eisernen Kanzlers“ dar und schürte die Sehnsucht nach einem starken Mann, der Deutschland in eine verheißungsvolle Zukunft führen könne.

Beim 80. Geburtstag Bismarcks am 1. April 1895 wurde sein Altersruhesitz zum Wallfahrtsort. 35 Sonderzüge mit 50 Delegationen aus dem In- und Ausland reisten zu Ehren des Jubilars an, 5000 Studenten strömten nach Friedrichsruh, um dem Politiker zu huldigen. Anlässlich seines runden Geburtstags wurden Bismarck zusätzlich zu seinen bereits 45 bestehenden Ehrenbürgerschaften 450 weitere überreicht. Fast 10 000 Telegramme, 450 000 Postkarten und Briefe sowie mehrere Tausend Pakete erreichten das Postamt von Friedrichruh im Sachsenwald.

Bismarck wurde im Juni 1895 die Ehrenbürgerwürde derjenigen badischen Städte verliehen, die der am 24. Juni 1874 erlassenen badischen Städteordnung beigetreten waren: Baden-Baden, Bruchsal, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Konstanz, Lahr, Mannheim und Pforzheim. Der Ehrenbürgerbrief wurde von den Oberbürgermeistern der genannten Städte am 12. Juni 1895 an Bismarcks Altersruhesitz Friedrichsruh übergeben. Die Begründung lautete: Die badischen Städte „haben seine Durchlaucht den Fürsten Bismarck in nie verlöschender Dankbarkeit für seine unvergleichlichen Verdienste um das Vaterland zum Ehrenbürger ernannt und bezeugen dies durch die gegenwärtige Urkunde.“

Über das Zeremoniell gibt es unterschiedliche Feststellungen: Das Archiv in Konstanz spricht von einem gemeinsamen Brief der Oberbürgermeister, dagegen konnte im Heidelberger Stadtarchiv aus Akten recherchiert werden, dass die badischen Städte – nach der am 30. Januar 1895 erfolgten Heidelberger Abstimmung – sich ähnelnde Beschlüsse durchführten und ihre Oberbürgermeister diesbezüglich in schriftlichem Austausch mit dem Heidelberger Oberbürgermeister Karl Wilckens standen.

Bismarck, so die Aussage von dort, habe nicht einen einzigen Ehrenbürgerbrief mehrerer badischer Städte erhalten, vielmehr seien ihm zeitgleich mehrere Ehrenbürgerbriefe individueller Städte auf einmal verliehen worden.

Ob die Stadt Lahr einen separaten Brief überreichte oder der Lahrer Oberbürgermeister Dr. Gustav Schlusser einen Sammelbrief mitunterzeichnete, war nicht zu ermitteln.

Als Bismarck 1890 gestorben war, schickte der Lahrer Stadtrat ein Beileidstelegramm und einen von der Stadtgärtnerei erstellten Kranz mit der Widmung „die dankbare Stadt Lahr Ihrem großen Ehrenbürger“ zu seinem Alterssitz nach Friedrichsruh.