Gericht ordnet dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie an.
Offenburg - Bevor Richter Heinz Walter am Dienstag das Urteil spricht, gesteht er dem Angeklagten das "letzte Wort" des Strafprozesses zu. Es ist die Gelegenheit für Souleyman A., etwas zur brutalen Tötung eines Offenburger Arzts zu sagen, sich zu entschuldigen oder zu gestehen.
Die Beweislast gegen ihn ist erdrückend, ein Patient und eine Praxismitarbeiterin haben ihn als den Täter erkannt, der am 16. August 2018 den Mediziner mit mehr als 30 Messerstichen umbrachte. In seinem Zimmer in einer städtischen Asylunterkunft stellte die Polizei seine Hose mit Blutspuren des Opfers sicher.
Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Doch auf die Aufforderung des Richters, sich zu erklären, erwidert Souleyman A., er habe "überhaupt nichts getan" und sei unschuldig in Haft. "Ihr wollt mich umbringen", sagt er, wobei nicht klar ist, wer gemeint ist. Mehrere Minuten dauert der wirre Redeschwall, an dessen Ende der Angeklagte seinen Anwalt den Antrag stellen lässt, dass er einen neuen Anwalt will. Außerdem soll die Regierung von Dschibuti verständigt werden, um ihm zu helfen.
Freispruch, da Angeklagter während der Tat nicht schuldfähig war
Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück, danach verkündet Walter das Urteil: Von der ursprünglichen Mordanklage wird Souleyman A. freigesprochen, da er während der Tat nicht schuldfähig war. Zugleich wird seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Entscheidung ist keine Überraschung, bereits der Staatsanwalt, die Vertreter der Nebenkläger und die Verteidiger haben dieses Urteil gefordert.
Sechs Wochen hat die Wahrheitsfindung vor dem Landgericht Offenburg gedauert, wobei Richter Walter angesichts der eindeutigen Beweislage vor allem versuchte, die Persönlichkeit des Angeklagten zu ergründen. Doch Souleyman A. hat bis zuletzt Rätsel aufgegeben. Fest steht, dass sein Asylantrag im April 2017 abgelehnt wurde, woraufhin er einen subsidiären Schutzstatus erhielt und so legal im Land bleiben durfte. Bei seiner Einreise im November 2015 über Italien und Österreich nach Deutschland hatte er gesagt, aus Somalia zu kommen, doch seinen Äußerungen vor Gericht zufolge stammt er aus Dschibuti. Auch über sein Alter und die Schreibweise seines Namens machte er widersprüchliche Angaben.
So erwies sich vor Gericht der Dialog mit ihm nicht nur deshalb als äußerst mühsam, weil ein Dolmetscher alles übersetzen musste. Souleyman A. gab etwa an, krank zu sein, vermochte aber trotz geduldiger Nachfragen des Richters nicht zu sagen, was ihm fehlt. Dafür meinte er, dass man im Internet alles lesen könne, was in seinem Kopf sei. Es waren Äußerungen wie diese, die die Prozessbeobachter irritierten und den psychiatrischen Sachverständigen Stephan Bork zur Erkenntnis brachten, dass der Angeklagte unter paranoider Schizophrenie leidet. Er müsse behandelt werden, da er eine krankhafte seelische Störung habe und weiter gefährlich sei, so der Gutachter von der Uni Tübingen an einem früheren Verhandlungstag. Seine Expertise stützte er vor allem auf Beobachtungen im Gerichtssaal, da Souleyman A. ein Gespräch mit ihm verweigerte.
Richter nennt Angeklagten "einen wahnsinnigen, kranken Menschen"
An dieses Gutachten knüpft Richter Walter in der Urteilsbegründung an, nennt den Angeklagten "einen wahnsinnigen, kranken Menschen". Es sei auszuschließen, dass diese Krankheit nur vorgespielt sei. Würde er frei bleiben, sei es sehr wahrscheinlich, dass er weiter schwere Straftaten begehen würde. "Er würde wieder jemanden finden, den er für seine Krankheit verantwortlich macht", so Walter.
Souleyman A. hatte die Sprechstunde des Hausarzts 2016, fast zwei Jahre vor der Tat, vier- oder fünfmal wegen einer Erkältung oder Magenschmerzen aufgesucht. Später habe er angenommen, dass der Arzt ihn bei einer Blutentnahme vergiftet habe, stellte Walter fest. Dieser "mächtige Wahn" habe ihn zu der Tat getrieben, bei der eine Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Deshalb habe er "ohne Schuld gehandelt" und sei freizusprechen.
Souleyman A. hat keine Gefängnisstrafe bekommen, die er absitzen kann, vielmehr wird er in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert. Wie lange er dort bleiben wird, das hängt davon ab, wie lange er nach Ansicht der Psychiater, die ihn behandeln werden, eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass er lebenslang in der Psychiatrie eingesperrt wird, ist Walters 50-minütiger Urteilsbegründung zu entnehmen. Zumal der Angeklagte nicht bereit sei, seine Krankheit überhaupt zu erkennen und sich behandeln zu lassen.
Ob er nun das Urteil versteht? Während der Urteilsbegründung wandert sein Blick unruhig hin und her, er runzelt die Stirn, scheint nicht zu begreifen, was der Dolmetscher ihm übersetzt. Doch dass die Konsequenzen sehr ernst sind, muss ihm klar sein, denn während Walters Erklärung wirkt Souleyman A. traurig und bestürzt.
Prozess fand unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen statt
Nach dem Verbrechen hatte es in Offenburg erst Demonstrationen, dann einen Trauermarsch gegeben. Der Prozess vor dem Landgericht ist daraufhin unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen geführt worden. Zum letzten Tag sind noch einmal 75 Besucher gekommen. Als der Richter den Freispruch verkündet, geht ein Raunen durch die Reihen. Es legt sich sofort wieder, als Walter erklärt, dass der Angeklagte trotzdem nicht freikommt.
Unter den Zuhörern sind auch ehemalige Patienten des Allgemeinmediziners. Sein Tod sei besonders tragisch, da er Souleyman A. und anderen Flüchtlingen helfen wollte, sagt Richter Walter, der auch an die Hinterbliebenen erinnert. Der Mediziner wurde nur 52 Jahre alt und hinterlässt eine Frau sowie eine Tochter.
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