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Corona: Handwerkskammer kritisiert "Notbremse" / IHK fordert Abkehr von Inzidenz als alleinigem Indikator

Die regionale Wirtschaft hat die Ergebnisse der Bund-Länder-Konferenz mit wenig Verständnis aufgenommen. Sowohl die Industrie- und Handels- als auch die Handwerkskammer kritisieren pauschale Schließungen ohne jegliche Alternativen.

Ortenau (red/ma). "Ein Ziehen der ›Notbremse‹ im Handwerk halten wir angesichts der ausgearbeiteten und bewährten Hygienekonzepte in den Betrieben für falsch", kommentiert Johannes Ullrich, Präsident der Handwerkskammer Freiburg, den jüngsten Beschluss der Bundesregierung. Nach Monaten der finanziell und zeitlich intensiven Bemühungen der Betriebe, ihren Arbeitsalltag coronakonform zu gestalten, sei es auch in puncto Pandemieeindämmung nicht zielführend, das Handwerk durch erneute Schließungen auszubremsen.

"Besonders mit Unterstützung der inzwischen breit verfügbaren Schnelltests haben die Hygienekonzepte der Betriebe das Infektionsrisiko im Handwerk auf ein Minimum reduziert", betont Ullrich, "das Einzige, was die ›Notbremse‹ im Handwerk wirklich bremsen würde, ist der Umsatz." Insbesondere die Kosmetiker und Handwerksbetriebe mit Handelsanteil seien unmittelbar betroffen, betont der Handwerkskammerpräsident.

In diesem Zuge fordert die Handwerkskammer Freiburg, dass innovativen Lösungen – beispielsweise nach dem Tübinger Modell (siehe Info) – eine Chance gegeben wird. Länder und Kommunen sollten die in der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene Möglichkeit, "Modellprojekte zur Untersuchung eines konsequenten Testregimes" einzusetzen jetzt nutzen, so die Kammer. Infektionen vor Ort könnten am effektivsten durch vor Ort entwickelte und angepasste Konzepte eingedämmt werden, ohne dabei auf pauschale Schließungen zurückgreifen zu müssen.

Dass Schulen vorerst weiterhin geöffnet bleiben sollen, begrüßt die Handwerkskammer durchaus, jedoch sollten die Teststrategien zum Schutz von Schülern sowie von Lehrkräften dringend ausgebaut werden, heißt es in einer Mitteilung der Kammer. Die Gewerbe-Akademie mit ihren Standorten in Freiburg, Offenburg und Schopfheim hat ihren Lehrbetrieb im Präsenzunterricht seit dem 22. März wieder aufgenommen. Auszubildende wie auch die Ausbilder werden hierfür zweimal wöchentlich auf eine potenzielle Covid-19-Infektion hin getestet, betont die Kammer.

Bereits vor dem Gipfel kam auch von den baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern die Forderung, einen Strategiewechsel einzuleiten – weg vom reinen Inzidenzgeschehen in Richtung Evidenz. "Denn eine 7-Tage-Inzidenz als alleiniger Maßstab für fundamentale Eingriffe ins wirtschaftliche Leben bildet das eigentliche Infektionsgeschehen unzureichend ab. Dieser Auffassung sind wir nach wie vor", betont Dieter Salomon, Geschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein, in einer Mitteilung der Kammer.

Der Belegungsgrad in den Krankenhäusern, die Impfquote und die Anwendung einfacher Tests müssten bei der langfristigen Planung mehr ineinandergreifen, um die Existenzen kleiner und mittelständischer Betriebe zu sichern. Besonders für die Gastronomie, Reisewirtschaft, Kultur- und Kreativwirtschaft sei die Verlängerung des Lockdowns ein erneuter Schlag ins Gesicht – für die Innenstädte und den Einzelhandel gar eine Totalkatastrophe, betont der IHK-Geschäftsführer.

"Statt Perspektiven zur Öffnung müssen Unternehmen dieser Branchen weiterhin um ihr Überleben kämpfen", macht Salomon seinem Ärger Luft. "Wir fordern eindringlich, für die Wirtschaft endlich Gesamtkonzept aus Hygienemaßnahmen, breit angelegten Tests und digitaler Kontaktnachverfolgung zu schaffen und gleichzeitig die Maßnahmen der Impfungen und Tests drastisch und schnell zu verstärken."

In Tübingen läuft seit etwa eineinhalb Wochen und noch bis zum 4. April ein Modellprojekt zu mehr Öffnungsschritten in Corona-Zeiten. An neun Teststationen können die Menschen kostenlose Tests machen, das Ergebnis wird bescheinigt, berichtet die Deutsche Presse-Agentur (DPA). Damit könne man in Läden, zum Friseur oder in Theater und Museen gehen. In einer ersten Zwischenbilanz zeigte sich OB Boris Palmer (Grüne) trotz Unregelmäßigkeiten bei der Testauswertung zufrieden. In sogenannten Modellregionen werden mit strengen Schutzmaßnahmen und Testkonzepten die Beschränkungen in einzelnen Bereichen gelockert. Beim Land darum beworben hat sich unter anderem der Kreis Calw – auch der Ortenaukreis hat angekündigt, sich zu bewerben.