Christina Spitzmüller lud ihre russischen Freunde zu einem Bierfest ein. Foto: Privat

Christina Spitzmüller berichtet aus Pskow: Schweinsohren werden serviert. Wohnen auf engstem Raum.

Mittleres Kinzigtal/Pskow - Neues aus Russland: Christina Spitzmüller berichtet für den Schwarzwälder Boten von ihren Erfahrungen in der Großstadt Pskow (Nordwestrussland), wo sie derzeit ein freiwilliges soziales Jahr absolviert. Heute geht es um die Liebe zu deutschem Bier und beengte Wohnverhältnisse in Russland.

Wahrscheinlich ist jeder Deutschen im Ausland mal an der Reihe, ein Bierfest für seine neuen Freunde zu schmeißen; im Rahmen der interkulturellen Kommunikation und der Völkerverständigung natürlich.

In Russland ist man überzeugt von der Qualität deutschen Biers, auch wenn in Kneipen und Restaurants eher tschechische oder weißrussische Erzeugnisse ausgeschenkt werden. Lediglich im »Bierhoff«, der »bayrischen Bierschenke« in Pskow, bekommt man nach deutschem Rezept gebrautes Bier. Dazu werden Schweinsohren serviert, wenn’s ganz bayrisch zugehen soll. Für alle nicht ganz so Experimentierfreudigen gibt’s die typisch russische Beilage zu Bier: frittiertes Brot mit Knoblauchdip.

Da bis auf die rustikale Einrichtung und die dirndlähnlichen Kleider der Bedienungen allerdings nicht allzu viel Bayrisches im »Bierhoff« zu finden ist und die russische 90er-Jahre Musik, zu der getanzt wird, ein bisschen zu laut ist, wurde das Bierfest in gemütlicher Runde bei mir Zuhause abgehalten – mit deutscher Schunkelvolksmusik im Hintergrund, um etwas Bierzeltatmosphäre zu schaffen. Auf dem Plan standen sämtliche Biermischgetränke, die in Deutschland populär waren oder sind und alle Ausländer schockieren, wie man in einschlägigen Internetforen nachlesen kann: Radler, Colaweizen, Bananenweizen, …

Meine Gäste waren dann auch ausnahmslos schockiert, als sie erfahren haben, dass sie ihr Bier mit süßem Sprudel, Cola oder sogar verschiedenen Säften mischen sollten: »Ich versteh einfach nicht, wieso die Deutschen ihr Bier mit solchen Sachen verunstalten müssen. Euer Bier schmeckt doch schon pur ausgezeichnet!« Eine Freundin mit etwas mehr Deutschlanderfahrung erklärte: »So sind die Deutschen eben, die mischen alles. Die trinken auch Fanta mit Cola.«

Somit wurden die Trinkgewohnheiten der Deutschen allgemein für verrückt erklärt und das ein oder andere Getränk ausprobiert. Der einzige Lichtblick: Auch die Weizenmischgetränke wurden bei unserem Bierfest mit normalem Gerstensaft gemischt, da man in Russland Weizenbier nur als Importprodukt (aus Deutschland) kennt und es dementsprechende Preise hat. Meine Freundinnen waren erleichtert: Noch schlimmer, als Bier mit irgendwelchen Getränken zu mischen, ist nur noch, Weizenbier dazu zu verwenden.

Am Ende des Abends waren alle um die ein oder andere (Geschmacks-)Erfahrung reicher, es wurde jedoch einhellig entschieden, dass deutsches Bier pur immer noch am besten schmeckt.

Aber wie wohnt man in Pskow? Ein typisches Studentenzimmer in Russland sieht so aus: 14 Quadratmeter, vier Betten, ein kleiner Tisch und eine Kochnische. Dafür zahlt man für das Studentenwohnheim auch nur umgerechnet fünf Euro im Monat.

Privatsphäre ist aber ein Fremdwort: Ständig ist irgendjemand in der Nähe, Dusche und Toilette teilt man sich mit dem ganzen Flur. Studentenheimbewohner müssen sich beim Pförtner an- und abmelden, Besucher geben ihren Ausweis ab. Nach 21 Uhr müssen alle Besucher gehen, zwischen 23 Uhr und 6 Uhr gibt es auch für die ständigen Bewohner weder Ein- noch Auslass. Wer es nicht rechtzeitig geschafft hat, muss auf die Gunst des Nachtwächters hoffen – oder schläft draußen.
Mehrköpfige Familien teilen sich ein Zimmer in den »Kommunalkas«

Aber nicht nur die Studenten in Russland leben anders als viele Deutsche. Dass hier die ganze Familie auf engstem Raum zusammenlebt, ist nicht ungewöhnlich. Eine Dreizimmerwohnung ist groß genug für sechs Personen. Eine Freundin lebt so mit ihren Eltern, ihrer Schwester und deren Mann und Kind zusammen. »Die Mieten sind teuer, also leben sie lieber noch ein Jahr bei uns und sparen so für eine Eigentumswohnung«, erklärt sie mir, wieso die Schwester mit ihrer Familie noch Zuhause wohnt. Die Wohnung, die danach bezogen wird, ist aber auch kein Platzwunder: Ein Zimmer, Küche, Bad. Privatsphäre auch hier ein Fremdwort.

Aber es geht noch extremer: In den Kommunalkas, die seit dem 18. Jahrhundert in Russland populär sind, teilen sich mehrere Parteien eine Wohnung. Jede Partei bewohnt ein Zimmer, nicht selten mit einer mehrköpfigen Familie. Bad und Küche nutzen alle gemeinsam. Da die Zimmer verschiedenen Eigentümern gehören, die sie dann jeweils weitervermieten, sind Küche und Bad quasi »eigentumfreies« Gebiet, entsprechend der Zustand der sanitären Anlagen. Der Treppengang, um den sich in Russland sowieso selten jemand kümmert, sieht in solchen Kommunalka-Anlagen noch verwahrloster aus, als in anderen Häusern.

Zwar kann eine Freundin, die ich ab und zu in ihrer Kommunalka besucht habe, einfach zu den Zimmernachbarn gehen, wenn sie etwas nicht da hat, ohne ihre Wohnung zu verlassen. Dafür bekommt sie aber auch jeden Ehestreit durch die dünnen Wände mit. Und Onkel Kolja klopft dann manchmal an, wenn er zu tief ins Glas geschaut und ein großes Redebedürfnis hat. Immerhin kann man jede Zimmertür abschließen.

Aus der Not heraus entstanden wohl die meisten dieser Wohnformen, als Lebensraum knapp wurde und immer mehr Menschen in die Städte zogen. Dafür hat aber auch jeder Russe seine Datscha, sein Wochenendhaus, auf die er jedes Wochenende flüchtet. Da kann er dann ein bisschen Freiheit atmen, bevor er sich unter der Woche wieder mit beengten Wohnverhältnissen zufrieden geben muss.

Weitere Informationen:

Die Arbeit im HPZ, in dem Christina Spitzmüller ihr FSJ ableistet, finanziert sich hauptsächlich über Spenden aus Deutschland. Die Kontoverbindung ist auf www.initiativepskow.de zu finden.