Kippenheims Bürgermeister Matthias Gutbrod verlieh Inge Auerbacher als Erster überhaupt die Ehrenbürgerwürde der Gemeinde Kippenheim. Foto: Göpfert

Bei der Gedenk- und Erinnerungsstunde mit Wolfgang Schäuble in der ehemaligen Synagoge in Kippenheim wurde der Holocaust-Überlebenden Inge Auerbacher eine besondere Ehre zu teil: Sie wurde Kippenheims erste Ehrenbürgerin.

Kippenheim -  Diese Überraschung hob sich Bürgermeister Matthias Gutbrod bis ganz zum Schluss auf: Am Ende der Gedenk- und Erinnerungsstunde am Mittwoch verlieh er Auerbacher die Ehrenbürgerwürde Kippenheims. Sie ist die Erste, die damit ausgezeichnet wurde – für "ihre Tätigkeit als Botschafterin der Versöhnung, der Toleranz und des Friedens", wie es auf der Urkunde heißt.

Bewunderung für Willen zur Versöhnung:  "Sie sind zur rechten Zeit nach Deutschland gekommen", begrüßte Gutbrod Auerbacher an ihrem Geburtsort. Ihre Rede, die sie anlässlich des Gedenktags der Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag gehalten habe, sei ein wichtiger Beitrag zum Gedenken an das unfassbare Leid und die Gräueltaten der NS-Zeit. Sechs Millionen Menschen seien ermordet worden, darunter 1,5 Millionen jüdische Kinder. Auerbacher sei eine der wenigen, die das überlebt hatten. "Es ist für mich nicht vorstellbar, wie schrecklich Ihre Kindheitserfahrungen waren. Sie haben Dinge erlebt, die kann ich mir nicht vorstellen", so Gutbrod. Umso beeindruckender sei Auerbachers "unbändiger Wille zur Versöhnung, den Sie immer in den Mittelpunkt Ihres Handelns stellen". Auch in der heutigen Zeit gebe es Unruhe und Unfrieden – sei es in Osteuropa oder in Deutschland, etwa dann, wenn "Menschen unsere Erinnerungskultur ablehnen, die Taten des Nationalsozialismus relativieren oder die Pandemie-Maßnahmen mit denen der NS-Politik gleichsetzen und damit die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnen".

Mahnung zum sensiblen Umgang mit Sprache: "Jeder Terror beginnt mit der Verrohung der Sprache", mahnte Schäuble in Bezug auf die Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 an. Bei dieser sei bewusst die technokratische Sprache als Mittel der Betäubung eingesetzt worden, um die Vernichtung der Juden zu beschließen – "von ganz Normalen, Gut-Ausgebildeten, Hochqualifizierten". Der Nationalsozialismus zeige, "wozu wir Menschen fähig sind. Auch in unserer Heimat geschah das Unaussprechliche", machte Schäuble deutlich.

Erinnern als wichtige Aufgabe: Mit Auerbacher habe der Bundestag eine der letzten Zeitzeugen anhören dürfen. Eine Erinnerungskultur, die etwa zu Schäubles Schulzeit nicht selbstverständlich gewesen sei, wo "viele nicht hätten hinschauen oder verstehen und sich nicht voll Scham und Schuld erinnern wollen". Die Kippenheimer Synagoge etwa habe die Schändung und den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden, fast bis zur Unkenntlichkeit verwüstet sei sie erst 1955 worden. Es sei der Kippenheimer Bevölkerung und auch dem früheren DIA-Vorsitzenden Robert Krais und dem Förderverein der ehemaligen Synagoge Kippenheim zu verdanken, dass sie wieder hergerichtet worden sei. "Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber: Sie sind und bleiben verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird", mahnte Schäuble. 

Heimat, die bleibt: Mit der Rede im Bundestag sei für sie ein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen, erklärte Auerbacher. Wenn sie in ihren Heimatort komme, dann sei sie wieder ein kleines Kind. "Hier bin ich wieder das ›Ingele aus Kippene‹. Wo man geboren ist, das geht nie aus der Haut", erklärte sie. "Mein Akzent im Deutschen ist immer noch Schwäbisch und ein klein wenig Alemannisch. Hier habe ich meinen ersten Atemzug gemacht, der erste Schrei war in Kippene. Kippenheim bleibt für immer in meinen Gedanken und auch in meinem Sinn." An die Zuhörer gewandt, erklärte sie: "Wir sind jetzt alle befreundet und unser Blut ist rot. Wir sind eine Familie und das ist für mich wichtig, und ich will, dass das so bleibt." Sie wünsche sich, dass alle zusammen auskommen und es Frieden für alle gebe. "Wenn wir weiterleben wollen, müssen wir Frieden haben", machte sie deutlich: "Es gibt viele Wege zu Gott und alle sind richtig."

Besucher: Aufgrund der Corona-Pandemie war die Zahl der Gäste auf 25 beschränkt. Teilgenommen an der Gedenk- und Feierstunde hatten unter anderem der Vorsitzende der ehemaligen Synagoge Kippenheim, Jürgen Stude, Bundes- und Landtagsabgeordnete der Region, Mitglieder des Gemeinderats sowie Wegbegleiter Auerbachers. Zu diesen zählte auch das Ehepaar Vogt, das nun in Auerbachers früherem Elternhaus wohnt.