Kultur: Tina Stroheker und Dogan Akhanli sind Gäste der "Lesung für alle" in der Hausacher Stadthalle

Visuelle Sprache: Poetisch und für Hörende kaum zu verstehen. Im Rahmen des Hausacher Leselenz ist die "Lesung für Alle" in Gebärdensprache übersetzt worden – eine Erweiterung des diesjährigen Themas "Sprachränder – Rändersprachen" ins Sehen.

Hausach. Ideengeber Michael Stavaric befand in seiner einführenden Rede: "Gebärdensprache ist wie Poesie: Sie muss sehr genau sein und es gibt viele feine Nuancen." Bei seiner Recherche sei er über die Redewendung "wie ein Tier gebärden" gestolpert, weil sich Tiere ebenfalls miteinander unterhalten könnten und die Sprachränder auch in diese Richtung erweitert würden.

Ulrike Wörner oblag die Einführung der Schriftstellerin Tina Stroheker, deren "Inventarium" keine Liste von Alltagsgegenständen wäre, sondern kluge, pointierte und prägnante Alltagsbetrachtungen. "Manches Leben ist eine Liste – manche Liste ist ein Leben lang", befand Wörner. Einigen Gegenständen, die Tina Stroheker schon sehr lange Zeit begleiten, stellte sie Texte ihres Lebens-ABC an die Seite und nahm das Publikum auf eine berührende Reise durch ihr Leben mit.

Anhand eines Sommerfotos las sie beispielsweise: "Das kleine Mädchen ist verschwunden, doch ich finde es wieder – als Gefühl." Oder: "Die Jahre kamen, sie hatten keine andere Wahl – die Jahre gingen, wir hatten keine andere Wahl." An anderer Stelle machte sie sich anhand eines Buchs von Soren Kierkegaard tiefgreifende Gedanken um Sophie Scholl und deren Überzeugung. "Sophie hält mir den Spiegel vor und immer fürchte ich vor der eigenen Feigheit; Sophie Scholl starb – wir müssen richtig leben – so einfach ist das", las Stroheker.

Die Übersetzung des Abends in Gebärdensprache oblag Anke Hagemann und Monika Bonnes, die einen jeweils eigenen "Dialekt" zu haben schienen.

Der zweite Teil des Abends gehörte Dogan Akhanli, der nicht nur seine jüngste Publikation "Verhaftung in Granada" vorstellte, sondern auch im Gespräch mit dem Journalisten und Schriftsteller Gerrit Wustmann über seine Motivation des Schreibens redete. "Diese Mal war es kein persönlicher Angriff, sondern ein politisch motivierter. Das hat mit nicht verletzt – sondern richtig wütend gemacht", erklärte Akhanli den Unterschied zu den vorherigen Verhaftungen.

Nicht nur verletzt, sondern wütend

In der Türkei gebe es die Erfahrung, dass Gewalt verübt werde, der Stärkere gewinne – und alles andere drum herum werde vergessen.

Für Wustmann war, nach bekanntwerden der Verhaftung Akhanlis, durch die große Solidarität in der Presse das schönste Fazit: "Erdogan hat genau das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich wollte! Er wollte einen kritischen Journalisten mundtot machen – aber: noch nie haben dir so viele Menschen zugehört wie jetzt."

Für Akhanli habe es in der Nacht der Verhaftung in der Zelle eine unvorstellbare Zeitkrümmung gegeben, in der sämtliche Geschehnisse und traumatische Gewalterfahrungen zusammen gekommen seien. "Ich hätte dieses Buch nie geschrieben, wenn ich nicht verhaftet geworden wäre", erklärte der Schriftsteller. "Es ist für mich zum Schicksalsbuch geworden." José F.A. Oliver bedankte sich am Ende des Gesprächs: "Du hast Hoffnung für die Zukunft ausgesprochen. Ein Abend wie dieser, deine Lesereise und der kürzlich verliehene Toleranzpreis sind Teil dieser Hoffnung. Vielleicht ist das Ausdruck dafür, dass dieses Europa gelingen kann."

Am Rande wurden die Ergebnisse der "Schreibwerkstatt für Alle" des Haslacher Club 82 und der Bibliothek der Generationen präsentiert. In Texten und Bildern wurde erfahrbar, wie sich Menschen mit und ohne Behinderung einen ganzen Tag lang von Werkstatt-Leiterin Viktoria Agüera Oliver de Stahl inspirieren ließen.